WIDMUNG
Dem Durchlauchten
hochgeborenen Fürsten und Herrn, Herrn Johannes, Herzog zu Sachsen, Landgrafen
in Thüringen und Markgrafen zu Meissen, meinem gnädigen Herrn.
Gnade und Frieden
in Christus!
Wieder zwingt
mich, Durchlauchter, hochgeborener Fürst, gnädiger Herr, die Not und die Bitte
vieler Leute, vor allem der Wunsch Euer Fürstlichen Gnaden, von der weltlichen
Obrigkeit und ihrem Schwert zu schreiben, wie man es christlich gebrauchen
soll, und wie weit man ihm Gehorsam schuldig ist. Denn es bewegt Sie das Wort
Christi Mt 5,39: „Du sollst dem Übel nicht widerstreben, sondern sei deinem
Widersacher zu Willen; und wer dir den Rock nimmt, dem lass auch den Mantel“;
dazu das Wort des Apostels Römer 12,19: „Die Rache ist mein, spricht der Herr,
ich will vergelten“. Diese Sprüche hielt seinerzeit auch der Fürst Volusian dem
Hl. Augustin vor; er focht die christliche Lehre an, sie gebe den Bösen
Erlaubnis, Böses zu tun, und könne sich in keiner Weise mit dem weltlichen
Schwert vertragen.
Ebenso haben auch
die Sophisten an den Hochschulen daran Anstoß genommen; sie konnten beides
nicht zusammenreimen. Um ja die Fürsten nicht zu Heiden zu machen, haben sie
gelehrt, Christus habe mit diesen Worten nicht ein „Gebot“, sondern nur einen
„Rat“ für die Vollkommenen gegeben. So hatte Christus ein Lügner werden und
Unrecht haben müssen, damit ja die Fürsten mit Ehren bestünden; denn die
blinden, elenden Sophisten konnten die Fürsten nicht erheben, ohne Christus
herunterzustoßen. So ist ihr giftiger Irrtum in alle Welt eingerissen, so dass
jedermann diese Lehre Christi nur für Ratschläge hält, welche die Vollkommenen
angehen, und nicht für verbindliche Gebote, die allen Christen gemeinsam
gelten. Das trieben sie so lange, bis sie auch dem „vollkommenen Stand der
Bischöfe“, ja dem „allervollkommensten Stand des Papstes“ nicht nur erlaubt
haben, diesen „unvollkommenen Stand“ des Schwertes und der weltlichen Obrigkeit
einzunehmen, sondern diesen niemand auf Erden so völlig zugeeignet haben als
dem Stand der Bischöfe und des Papstes. So ganz und gar hat der Teufel von den
Sophisten und Hochschulen Besitz genommen, dass sie selbst nicht sehen, was und
wie sie reden oder lehren.
Ich hoffe aber,
die Fürsten und die weltliche Obrigkeit so zu unterrichten, dass sie Christen
und Christus ein Herr bleiben sollen, und man dennoch nicht Christi Gebote um
ihretwillen zu bloßen „Räten“ zu machen brauche. Das will ich Euer Fürstlichen
Gnaden zu untertänigem Dienst und jedermann, der dessen bedarf, zu Nutz,
Christus unserem Herrn zu Lob und Preis tun.
Ich befehle
hiermit Euer Fürstlichen Gnaden mit all ihren Blutsverwandten in die Gnade
Gottes; der lasse Sie sich barmherzig befohlen sein. Amen.
Zu Wittenberg am
Neujahrstag 1523
Euer Fürstlichen
Gnaden
untertäniger
Martinus Luther
Ich habe früher
ein Büchlein an den deutschen Adel geschrieben und dargelegt, was sein
christliches Amt und Werk ist. Aber wie weit sie sich darnach gerichtet haben,
ist zur Genüge vor Augen. Darum muss ich meinen Fleiß in andere Richtung wenden
und nunmehr auch schreiben, was sie lassen und nicht tun sollen. Ich hoffe, sie
werden sich ebenso sehr darnach richten, wie sie sich nach jener Schrift
gerichtet haben, damit sie ja Fürsten bleiben und nimmer Christen werden. Denn
Gott der Allmächtige hat unsere Fürsten toll gemacht, dass sie nicht anders
meinen, als sie könnten ihren Untertanen tun und gebieten, was sie nur wollen;
und auch die Untertanen irren, wenn sie meinen, sie seien verpflichtet, dem
allem so ganz und gar zu folgen. Die Fürsten haben jetzt angefangen, den Leuten
zu gebieten, Bücher auszuliefern und zu glauben und einzuhalten, was sie
angeben. Damit vermessen sie sich, sogar auf Gottes Thron zu sitzen und die
Gewissen und den Glauben zu meistern und nach ihrem tollen Gehirn den Heiligen
Geist wie einen Schüler zu behandeln. Trotzdem verlangen sie, man dürfe ihnen
das nicht sagen und solle sie noch gnädige Herren heißen.
Sie schreiben und
lassen gedruckte Weisungen ausgehen, der Kaiser habe es geboten und sie wollten
christliche gehorsame Fürsten sein, gerade als wäre es ihnen ernst damit und
als merkte man den Schalk hinter ihren Ohren nicht. Denn wir würden ja wohl
sehen, wenn ihnen der Kaiser ein Schloss oder eine Stadt wegnähme oder sonst
etwas Unrechtes gebieten würde, wie fein sie Gründe dafür finden würden, dass
sie dem Kaiser widerstehen und nicht gehorsam sein müssten. Nun aber, wo es
gilt, den armen Mann zu schinden und ihren Mutwillen an Gottes Wort auszulassen,
muss das Gehorsam gegen ein kaiserliches Gebot heissen. Solche Leute hiess man
früher Spitzbuben; jetzt muss man sie christliche gehorsame Fürsten heissen,
und doch wollen sie niemand zum Verhör oder zur Verantwortung vor sich kommen
lassen, so dringlich man sich ihnen auch anbietet. Das wäre ihnen doch etwas
ganz Unerträgliches, wenn der Kaiser oder jemand anderes mit ihnen so verfahren
würde! Das sind heutzutage die Fürsten, die das Kaisertum in deutschen Landen
als Herrscher vertreten. Darum muss es auch so fein zugehen in allen Landen,
wie wir denn sehen.
Weil denn das
Wüten dieser Narren zur Vertilgung christlichen Glaubens, zur Verleugnung des
göttlichen Wortes und zur Lästerung der göttlichen Majestät gereicht, will und
kann ich meinen ungnädigen Herren und zornigen Junkern nicht länger zusehen;
ich muss ihnen wenigstens mit Worten widerstehen. Und habe ich ihren Götzen,
den Papst, nicht gefürchtet, der mir die Seele und den Himmel zu nehmen drohte,
so muss ich mich auch dabei sehen lassen, dass ich seine Schuppen und
Wasserblasen nicht fürchte, die mir den Leib und die Erde zu nehmen drohen.
Gott gebe, dass sie zürnen müssen, bis die Grauröcke vergehen, und helfe uns,
dass wir vor ihrem Drohen ja nicht sterben. Amen.
Fürs erste müssen
wir das weltliche Recht und Schwert gut begründen, damit niemand dran zweifle,
dass es durch Gottes Willen und Anordnung in der Welt ist. Die Sprüche aber,
die es begründen, sind die folgenden: Röm 13,1.2: „Jede Seele sei der
Amtsgewalt und Obrigkeit untertan; denn es gibt keine Gewalt, die nicht von
Gott wäre: die Gewalt aber ist überall, wo es eine gibt, von Gott angeordnet.
Wer nun der Gewalt widersteht, der widersteht Gottes Ordnung; wer aber Gottes
Ordnung widersteht, der wird sich selbst die Verurteilung zuziehen.“ Ferner 1
Petr 2, 13. 14: „Seid untertan der menschlichen Ordnung aller Art, es sei dem
König als dem Vornehmsten oder den Statthaltern als denen, die von ihm gesandt
sind zur Bestrafung der Bösen und zur Belohnung für die Rechtschaffenen.“
Auch ist das
Recht dieses Schwertes von Anfang der Welt an da gewesen. Als nämlich Kain
seinen Bruder Abel erschlug, fürchtete er sich so sehr, man würde ihn auch
töten, dass Gott dies sogar mit einem besonderen Verbot belegte und das Schwert
um seinetwillen außer Kraft setzte, damit niemand ihn töten sollte. Eine solche
Furcht hätte Kain nicht gehabt, wenn er es nicht von Adam her gesehen und
gehört hätte, dass man die Mörder töten solle. Deshalb hat Gott nach der
Sintflut dieses Recht mit ausdrücklichen Worten aufs neue eingesetzt und
bekräftigt, indem er 1 Mose 9, 6 sagt: „Wer Menschenblut vergießt, dessen Blut
soll wieder durch Menschen vergossen werden.“ Das kann nicht dahin verstanden
werden, als handelte es sich um eine Plage und Strafe, welche von Gott her über
die Mörder kommen müsste; bleiben doch viele Mörder am Leben und sterben ohne
Schwert, weil sie ein Bußgeld bezahlen oder sonst begünstigt werden. Vielmehr
ist da von dem Recht des Schwertes die Rede: dass nämlich ein Mörder des Todes
schuldig ist und dass man ihn dem Recht entsprechend durchs Schwert töten
solle. Mag nun auch das Recht verhindert oder das Schwert säumig geworden sein,
so dass der Mörder eines natürlichen Todes stirbt, so ist die Schrift deshalb
doch nicht falsch, wenn sie sagt: „Wer Menschenblut vergießt, dessen Blut soll
durch Menschen vergossen werden.“ Denn es ist der Menschen Schuld und ist ihnen
anzurechnen, wenn dieses von Gott festgesetzte Recht nicht durchgeführt wird;
in dieser Weise werden ja auch andere Gottesgebote übertreten.
Sodann ist es
auch durch das Gesetz Moses bestätigt worden, 2 Mose 21, 14: „Wer jemand
mutwillig tötet, den sollst du von meinem Altar wegreißen, damit er getötet
werde.“ Und ebendort ein zweitesmal: „Leib um Leib; Auge um Auge; Zahn um Zahn;
Fuß um Fuß; Hand um Hand; Wunde um Wunde; Beule um Beule.“ Ferner bestätigt es
auch Christus, wenn er zu Petrus im Garten sprach: „Wer das Schwert nimmt, der
soll durchs Schwert umkommen.“ Das ist ebenso zu verstehen wie das Wort 1 Mose
9, 6; zweifellos deutet Christus mit diesem Wort auf jene Stelle hin und führt
eben jenen Spruch damit an und will ihn bestätigt haben. Ebenso lehrt auch
Johannes der Täufer; als die Kriegsknechte ihn fragten, was sie tun sollten,
sprach er: „Tut niemand Gewalt noch Unrecht und lasset euch an eurem Solde
genügen.“ Wäre das Schwertamt nicht ein göttlicher Stand, so hätte er sie
anweisen müssen, davon abzustehen; denn er sollte doch das Volk zur
Vollkommenheit führen und recht christlich unterweisen. Somit ist es gewiss und
klar genug: es ist Gottes Wille, dass das weltliche Schwert und Recht zur
Bestrafung der Bösen und zum Schutz der Rechtschaffenen gehandhabt wird.
Zweitens. Dem
widerspricht nun kraftvoll das Wort, welches Christus Mt 5, 38 spricht: „Ihr
habt gehört, dass den Vorfahren gesagt ist: ‘Auge um Auge, Zahn um Zahn’. Ich
aber sage euch, man solle keinem Übel widerstehen; sondern wenn dich jemand auf
den rechten Backen schlägt, dem halte auch den andern hin, und wenn einer mit
dir rechten will, um dir den Rock zu nehmen, dem lass auch den Mantel dazu, und
wenn dich einer eine Meile weit zwingt, mit dem gehe zwei Meilen usw.“ Ferner
Paulus Röm 12,19: „Meine Liebsten, schützet euch nicht selber, sondern gebet
Raum dem Zorne Gottes. Denn es steht geschrieben: Die Rache ist mein; ich will
vergelten, spricht der Herr.“ Ferner Mt 5, 44: „Habt eure Feinde lieb, tut
denen wohl, die euch hassen.“ Und 1 Petr 3,9: „Niemand zahle Böses mit Bösem
oder Scheltwort mit Scheltwort heim usw.“ Diese und ähnliche Sprüche klingen
freilich hart, als sollten die Christen im neuen Bund kein weltliches Schwert
haben. Daher sagen denn auch die Sophisten, Christus habe Moses Gesetz damit
aufgehoben. Sie machen nun aus diesen Geboten „Ratschläge“ für die Vollkommenen
und teilen die christliche Lehre und den Christenstand in zwei Teile. Einen
heißen sie den ‘vollkommenen Stand’ (dem sprechen sie diese „Ratschläge“ zu),
den andern den ‘unvollkommenen’ (dem sprechen sie die Gebote zu). Und das tun
sie aus lauter eigenem, frevelhaftem Unterfangen und Gutdünken, ohne
irgendeinen Grund dafür in der Heiligen Schrift zu haben. Sie sehen nicht, dass
Christus an eben jener Stelle seine Lehre so streng als Gebot einschärft, dass
er auch nicht das Geringste davon aufgelöst haben will und dass er die zur
Hölle verdammt, die ihre Feinde nicht lieb haben. Darum müssen wir anders davon
reden; so nämlich, dass Christi Worte allgemein für jedermann in Geltung
bleiben, mag er ‘vollkommen’ oder ‘unvollkommen’ sein. Denn Vollkommenheit und
Unvollkommenheit hat ihr Wesen nicht in dem, was man tut; sie erzeugt auch
keinen besonderen äußerlichen Stand unter den Christen; sondern sie hat ihr
Wesen im Herzen, im Glauben und in der Liebe. Wer also mehr glaubt und liebt,
der ist ‘vollkommen’, er mag äußerlich Mann oder Weib, Fürst oder Bauer, Mönch
oder Laie sein. Denn Liebe und Glaube erzeugen äußerlich keine Absonderungen
oder Unterschiede.
Drittens. Hier
müssen wir Adams Kinder, d. h. alle Menschen, in zwei Teile teilen: die einen
zum Reich Gottes, die andern zum Reich der Welt gehörig. Die zum Reich Gottes
Gehörenden, das sind alle, die als wahrhaft Glaubende in Christus und unter
Christus sind. Denn Christus ist der König und Herr im Reiche Gottes, wie Psalm
2, 6 und die ganze Schrift sagt; deshalb ist er auch gekommen, um das Reich
Gottes anzufangen und in der Welt aufzurichten. Darum spricht er auch vor
Pilatus: „Mein Reich ist nicht von der Welt, sondern wer aus der Wahrheit ist,
der höret meine Stimme“; darum nimmt er im Evangelium fortwährend auf das Reich
Gottes Bezug, indem er sagt: „Bessert euch; das Reich Gottes ist
herbeigekommen!“; ferner: „Suchet am ersten das Reich Gottes und dessen
Gerechtigkeit!“; und darum nennt er auch das Evangelium ein Evangelium vom
Reich Gottes; deshalb, weil es das Reich Gottes lehrt, regiert und erhält.
Nun sieh: diese
Leute4 brauchen kein weltliches Schwert oder Recht, und wenn alle Welt aus
rechten Christen, d. h. aus wahrhaft Gläubigen bestünde, so wäre kein Fürst,
König oder Herr, kein Schwert und kein Recht nötig oder von Nutzen. Denn wozu
sollte es ihnen taugen? Haben sie doch den Heiligen Geist im Herzen; der lehrt
sie und bewirkt, dass sie niemand Unrecht tun, jedermann lieben und von
jedermann gerne und fröhlich Unrecht, ja sogar den Tod leiden. Wo lauter
Unrechtleiden und lauter recht Tun ist, da ist kein Zank, Hader, Gericht,
Richter, Strafe, Recht oder Schwert notwendig. Darum ist's ausgeschlossen, dass
unter den Christen weltliches Schwert und Recht etwas zu schaffen finden
sollte; tun sie ja von selbst viel mehr, als alles Recht und Lehre fordern
können. In diesem Sinn sagt Paulus: „Dem Gerechten ist kein Gesetz gegeben,
sondern den Ungerechten.“ Warum das? Darum, weil der Gerechte von selbst alles
und noch mehr tut, als alle Rechtssatzungen fordern. Die Ungerechten dagegen
tun nichts, was recht ist; darum brauchen sie das Recht, das sie lehrt, zwingt
und drängt, gut zu handeln. Ein guter Baum braucht weder Belehrung noch
Rechtssatzung, um gute Früchte zu tragen; vielmehr bringt es seine Natur mit
sich, dass er ohne alle Rechtssatzung und Belehrung Frucht trägt, wie es seiner
Art entspricht. Denn das müsste mir ein ganz närrischer Mensch sein, der für
einen Apfelbaum ein Buch voll von Gesetzen und Rechtssatzungen verfasste, wie
er Äpfel und nicht Dornen tragen solle. Tut der Baum das doch auf Grund seiner
eignen Art besser, als es der Mensch mit allen Büchern beschreiben und gebieten
kann. Ebenso gehört es durch den Geist und Glauben durchaus zur Natur aller
Christen, dass sie gut und recht handeln, mehr, als man sie mit allen Gesetzen
lehren kann; sie bedürfen für sich selber keines Gesetzes oder Rechtes. Darauf
wendest du ein: Warum hat dann Gott allen Menschen so viel Gesetze gegeben, und
warum lehrt auch Christus im Evangelium so viel vom Tun? Davon habe ich sonst
schon - in der Postille und anderswo - viel geschrieben. Hier nur in aller
Kürze soviel: Sagt Paulus (1 Tim 1, 9), das Gesetz sei um der Ungerechten
willen gegeben, so heißt das, dass diejenigen, die nicht Christen sind, durch
den Zwang des Gesetzes von bösen Taten äußerlich abgehalten werden, wie wir
nachher noch hören werden. Nun aber ist kein Mensch von Natur ein Christ oder
rechtschaffen, sondern es sind alle zumal Sünder und Böse; darum wehrt Gott
ihnen allen durchs Gesetz, damit sie es nicht wagen, ihre Schlechtigkeit nach
ihrem Mutwillen äußerlich mit Werken zu betätigen. Außerdem gibt S. Paulus dem
Gesetz noch ein weiteres Amt: dass es nämlich die Sünde erkennen lehrt, womit
es den Menschen demütig macht für die Gnade und den Glauben an Christus. Ebenso
macht es auch hier Christus; wenn er lehrt, man solle dem Übel nicht
widerstehen, so erklärt er damit das Gesetz und lehrt, wie ein rechter Christ
beschaffen sein solle und müsse. Davon werden wir noch weiter hören.
Viertens. Zum
Reich der Welt oder unter das Gesetz gehören alle, die nicht Christen sind. Es
sind ja nur wenige gläubig und nur der kleinere Teil verhält sich nach
Christenart, dass er dem Übel nicht widerstrebt, ja dass er nicht gar selber
Übel tut. Deshalb hat Gott für diese Nichtchristen neben dem Christenstand und
Gottes Reich ein andres Regiment6 geschaffen und hat sie dem Schwert
unterworfen. Sie sollen doch nicht tun können, was ihrer bösen Art entspricht,
auch wenn sie es gerne wollten, und wenn sie es tun, sollen sie es doch nicht
ohne Furcht und nicht mit Frieden und Glück tun können. Es ist, wie man ein
wildes, böses Tier in Ketten und Bande legt, dass es nicht beißen und reißen
kann nach seiner Art, obwohl es das gern wollte; ein zahmes, kirres Tier
dagegen braucht das nicht, sondern ist, obwohl ohne Ketten und Bande, dennoch
ungefährlich.
Denn wenn das
nicht so wäre, so würde, wo doch alle Welt böse und unter tausend kaum ein
rechter Christ ist, eins das andre fressen, so dass niemand imstande wäre, Weib
und Kind anzuleiten, seiner Nahrung nachzugehen und Gott zu dienen; dadurch
würde die Welt wüste. Darum hat Gott die zwei Regimente angeordnet: das
geistliche, welches Christen und rechtschaffene Leute schafft durch den
Heiligen Geist unter Christus, und das weltliche, welches den Unchristen und Bösen
wehrt, dass sie äußerlich Frieden halten und still sein müssen wider ihren
Willen. In diesem Sinne deutet S. Paulus Röm 13,3 das weltliche Schwert, wenn
er sagt, es sei nicht für die guten, sondern für die bösen Werke zu fürchten;
und Petrus sagt, es sei zur Bestrafung der Bösen gegeben.
Vielleicht wollte
nun jemand die Welt nach dem Evangelium regieren und alles weltliche Recht und
Schwert aufheben; er würde sich darauf berufen, dass sie alle getauft und
Christen seien, unter denen das Evangelium kein Recht und Schwert haben will,
unter denen es auch nicht nötig ist. Bitte, rate einmal: was würde ein solcher
damit anstellen? Er würde den wilden bösen Tieren die Bande und Ketten
auflösen, dass sie jedermann zerrissen und zerbissen, und würde dabei geltend
machen, es seien ja feine, zahme, kirre Tierlein; ich würde das aber an meinen
Wunden wohl fühlen. So würden die Bösen unter der Decke des Christennamens die
evangelische Freiheit missbrauchen, ihre Bubenstücke treiben und behaupten, sie
seien Christen und darum keinem Gesetz und Schwert unterworfen; so toll und
närrisch sind jetzt schon einige.
Einem solchen
müsste man sagen: Ja, gewiss ist's wahr, dass Christen um ihrer selbst willen
keinem Recht und Schwert untertan sind und das nicht brauchen. Aber sieh zu und
mach die Welt zuerst voll von rechten Christen, ehe du sie christlich und
evangelisch regierst! Das wirst du aber niemals fertig bringen. Denn die Welt
und die Masse ist und bleibt unchristlich, auch wenn sie alle getauft sind und
Christen heißen; die Christen dagegen wohnen, wie man zu sagen pflegt, fern
voneinander. Darum kann man es in der Welt nicht ertragen, dass ein
christliches Regiment allgemein über die ganze Welt, ja auch nur über ein Land
oder eine größere Schar von Menschen aufgerichtet werde. Denn die Bösen sind
immer in der Überzahl gegenüber den Rechtschaffenen. Wollte man darum sich das
Wagnis zutrauen, ein ganzes Land oder die Welt mit dem Evangelium zu regieren,
so ist das ebenso, wie wenn ein Hirte Wölfe, Löwen, Adler und Schafe in einem
Stall zusammentäte und jedes frei unter den andern gehen liesse und spräche:
„Da weidet euch und seid rechtschaffen und friedlich untereinander; der Stall
steht offen, Weide habt ihr genug, Hunde und Prügel braucht ihr nicht zu
fürchten.“ Da würden wohl die Schafe Frieden halten und sich in dieser Weise
friedlich weiden und regieren lassen; aber sie würden nicht lange leben, und
kein Tier würde vor dem andern erhalten bleiben.
Darum muss man
diese beiden Regimente sorgfältig unterscheiden und beide in Kraft bleiben
lassen: das eine, das rechtschaffen macht, das andre, das äußerlich Frieden
schafft und bösen Werken wehrt. Keines genügt in der Welt ohne das andere. Denn
ohne Christi geistliches Regiment, bloß mit Hilfe des weltlichen Regiments, kann
niemand vor Gott rechtschaffen werden. Andrerseits erstreckt sich Christi
Regiment nicht über alle Menschen, sondern allezeit sind die Christen die
kleinere Schar; sie sind mitten unter den Unchristen. Wo nun weltliches
Regiment oder Gesetz allein regiert, da muss es lauter Heuchelei geben, auch
wenn es Gottes Gebote selber wären. Denn ohne den Heiligen Geist im Herzen wird
niemand wirklich rechtschaffen, mag er so feine Werke tun, als er kann. Wo aber
das geistliche Regiment allein über Land und Leute regiert, da wird der
Schlechtigkeit der Zaum gelöst und aller Büberei Raum gegeben. Denn die
Allgemeinheit kann es nicht annehmen und verstehen.
Da siehst du nun,
wohin Christi Worte zielen, die wir oben aus Mt 5,39 angeführt haben, wonach
die Christen nicht ihr Recht behaupten und das weltliche Schwert unter sich
haben sollen. Ausdrücklich sagt er das nur seinen lieben Christen; die nehmen
es auch allein an und tun auch entsprechend. Sie machen nicht wie die Sophisten
„Ratschläge“ daraus, sondern sind im Herzen durch den Geist so geartet, dass
sie niemand Übel tun und von jedermann willig Übles leiden. Wenn nun die Welt
insgesamt aus Christen bestünde, so gingen diese Worte sie insgesamt an und sie
täte darnach. Nun sie aber aus Unchristen besteht, gehen sie die Worte nichts
an, und sie tut auch nicht darnach; vielmehr gehört sie unter das andre
Regiment, bei dem man die Unchristen äußerlich zum Frieden und zum Guten zwingt
und drängt.
Darum hat auch
Christus kein Schwert geführt und hat auch in seinem Reich keines eingesetzt.
Denn er ist ein König über Christen und regiert ohne Gesetz, allein durch
seinen Heiligen Geist. Und obwohl er das Schwert bestätigt, hat er es doch
nicht gebraucht. Denn es ist nicht dienlich für sein Reich, wo lauter Fromme
drin sind. Deshalb durfte einst David den Tempel nicht bauen, weil er viel Blut
vergossen und das Schwert geführt hatte. Nicht als hätte er damit ein Unrecht
getan; aber er konnte nicht eine Vorausdarstellung Christi sein, da dieser doch
ein friedliches Reich ohne Schwert haben sollte. Vielmehr musste Salomo, d.h.
auf deutsch: „Friedrich“ oder „Friedsam“, das ausführen, weil er ein friedsames
Reich hatte, durch welches das rechte, friedsame Reich Christi, des rechten
„Friedrich“ und „Salomo“, voraus dargestellt werden konnte. Weiter erzählt der
Text: „Beim ganzen Bau des Tempels hörte man nie ein Eisen“; alles deshalb,
weil Christus ein freiwilliges Volk, ohne Zwingen und Drängen, ohne Gesetz und
Schwert haben sollte.
Das meinen die
Propheten Ps 110,3: „Dein Volk werden die Freiwilligen sein.“ Und Jes 11,9:
„Sie werden nicht töten noch Schaden anrichten auf meinem ganzen heiligen
Berge.“ Und Jes 2,4: „Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Lanzen
zu Sicheln machen, und niemand wird gegen den andern ein Schwert erheben und zu
streiten sich befleißigen usw.“ Wer diese und ähnliche Sprüche in ihrer Geltung
soweit ausdehnen wollte, als Christi Namen genannt wird, der würde die Schrift
ganz verkehren; vielmehr sind sie allein von den rechten Christen gesagt: die
verhalten sich untereinander gewiss darnach.
Fünftens. Hier
machst du den Einwand: „Wenn denn die Christen das weltliche Schwert und Recht
nicht nötig haben, warum sagt dann Paulus Röm 13,1 zu allen Christen: ‘Alle
Seelen seien der Amtsgewalt und Obrigkeit untertan’? und S. Petrus: ‘Seid
untertan aller menschlichen Ordnung usw.’, wie oben schon angeführt worden
ist?“ Antwort: Soeben habe ich dargelegt, dass die Christen untereinander und
bei sich und für sich selbst kein Recht und kein Schwert brauchen; denn es ist
für sie unnötig und unnütz. Aber weil ein rechter Christ auf Erden nicht für
sich selber, sondern für seinen Nächsten lebt und ihm dient, so tut er
entsprechend seiner Geistesart auch das, was zwar er selbst nicht braucht, was
aber seinem Nächsten nützlich und notwendig ist. Nun aber ist das Schwert von
großem, nötigem Nutzen für alle Welt, dass Frieden erhalten, Sünde gestraft und
den Bösen gewehrt werde; darum gibt sich der Christ ganz willig unter das
Regiment des Schwertes: er gibt Steuer, ehrt die Obrigkeit, dient, hilft und
tut alles, was er kann, was der Amtsgewalt förderlich ist, damit sie in Kraft
und in Ehren und Furcht erhalten werde. Und das tut er, obwohl er für sich
selber nichts davon braucht und nötig hat; denn er sieht darauf, was andern
nützlich und gut ist, wie Paulus Eph 5 lehrt.
Es ist wie auch
bei allen andern Werken der Liebe: der Christ tut sie, obwohl er doch ihrer
keineswegs bedarf: er besucht ja die Kranken nicht deshalb, weil er selber
davon gesund werden wollte; er speist niemand, weil er selber der Speise
bedürfte. Ebenso dient er auch der Obrigkeit nicht, weil er selbst sie brauchen
würde, sondern weil die andern sie brauchen, damit sie beschützt und die Bösen
nicht ärger werden. Es geht ja ihm dadurch nichts ab, auch schadet ihm ein
solcher Dienst nichts; und doch bringt er der Welt großen Nutzen. Und wenn er's
nicht täte, so handelte er nicht als ein Christ, und obendrein wider die Liebe;
auch gäbe er den andern ein böses Beispiel, die auch gleichfalls keine Obrigkeit
ertragen wollten, obwohl sie doch Unchristen sind. Damit entstünde dann für das
Evangelium eine Schmach: als lehrte es Aufruhr und machte die Leute
eigensinnig, dass sie niemand nütze und zu Dienst sein wollen, während es doch
einen Christen zu jedermanns Knecht macht. In diesem Sinne gab Christus den
Zinsgroschen, um ihnen keinen Anstoß zu geben, obwohl er es doch keineswegs
nötig gehabt hätte.
Ebenso siehst du
das auch an jenen Worten Christi, die oben aus Mt 5,39 angeführt wurden. Zwar
lehrt er deutlich, wie die Christen untereinander kein weltliches Schwert noch
Recht haben sollen. Er verbietet aber nicht, dass man denen dienen und untertan
sein soll, die weltliches Schwert und Recht haben. Sondern weil du es nicht
brauchst und nicht haben sollst, sollst du um so mehr denen dienen, die nicht
so weit gekommen sind wie du und es noch brauchen. Wenn du es auch nicht nötig
hast, dass man deinen Feind straft, so hat es doch dein kranker Nächster nötig;
dem sollst du helfen, dass er Frieden habe und seinem Feind gewehrt werde. Das
aber kann nicht anders geschehen, als indem die Amtsgewalt und Obrigkeit in
Ehren und Furcht erhalten wird. Christus sagt nicht so: „Du sollst der
Amtsgewalt nicht dienen und untertan sein“; sondern: „Du sollst dem Übel nicht
widerstreben“. Das ist, als wollte er sagen: „Verhalte dich so, dass du alles
duldest; denn du sollst die Amtsgewalt nicht dazu brauchen, dass sie dir helfe
und diene, nützlich oder notwendig sei, sondern du sollst umgekehrt ihr helfen,
dienen, nützlich und notwendig sein. Ich will, dass du drüber erhaben und viel
zu adlig bist, als dass du sie brauchst; vielmehr soll sie dich brauchen.“
Sechstens. Nun
fragst du, ob dann auch ein Christ das weltliche Schwert führen und die Bösen
strafen dürfe, wo doch Christi Worte so hart und klar lauten: „Du sollst dem
Übel nicht widerstreben“, dass die Sophisten einen „Rat“ daraus haben machen
müssen. Antwort: Du hast bis jetzt zwei Stücke gehört. Das eine ist, dass unter
den Christen das Schwert nicht sein kann; darum kannst du es über und unter den
Christen nicht führen, da sie es ja nicht brauchen. Deshalb musst du deine
Frage aufwerfen mit Bezug auf den Haufen der andern, die nicht Christen sind,
ob du es dort christlich brauchen könnest. Da gilt das andere Stück: dass du
dem Schwert zu dienen verpflichtet bist und dass du es fördern sollst, womit du
kannst, es sei mit Leib, Gut, Ehre und Seele. Denn es ist ein Werk das zwar du
nicht brauchst, das aber höchst nützlich und nötig ist für alle Welt und deinen
Nächsten. Wenn du darum sähest, dass es an einem Henker, Büttel, Richter, Herrn
oder Fürsten fehlt, und du fändest dich dazu geeignet, so müsstest du dich dazu
anbieten und dich darum bewerben, damit ja die Amtsgewalt, die so nötig ist,
nicht verachtet und mattgesetzt würde oder unterginge. Denn die Welt kann und
mag sie nicht entbehren.
Grund: In diesem
Fall würdest du nämlich ganz in fremdem Dienst und Wirken auftreten; denn es
brächte nicht dir oder deinem Gut oder Ehre Nutzen, sondern nur dem Nächsten
und anderen. Auch tätest du das nicht in der Absicht, dass du dich rächen oder
Böses mit Bösem vergelten wolltest, sondern deinem Nächsten zugut und zur
Erhaltung von Schutz und Frieden für die andern. Denn für dich selbst bleibst
du beim Evangelium und verhältst dich nach Christi Wort, dass du gerne den
zweiten Backenstreich erduldest und den Mantel zum Rock hin noch fahren
lassest, - sofern es dich und deine eigne Sache betrifft. So geht denn beides
fein miteinander zusammen, dass du zugleich dem Reich Gottes und dem Reich der
Welt äußerlich und innerlich Genüge leistest, dass du zugleich Übel und Unrecht
leidest und doch Übel und Unrecht strafst, zugleich dem Übel nicht widerstehst
und doch widerstehst. Denn mit dem einen siehst du auf dich und das Deine, mit
dem andern auf den Nächsten und auf das Seine. Wo es dich und das Deine angeht,
da verhältst du dich nach dem Evangelium und leidest als ein rechter Christ für
deine eigene Person Unrecht; wo es den andern und das Seine angeht, da
verhältst du dich nach der Liebe und leidest kein Unrecht für deinen Nächsten;
und das verbietet das Evangelium nicht, ja vielmehr gebietet es das an anderer
Stelle.
Auf diese Weise
haben alle Heiligen von Anfang der Welt an das Schwert geführt, Adam samt
seinen Nachkommen. So führte es Abraham, als er Lot, seines Bruders Sohn,
errettete und die vier Könige schlug, und dabei war er doch ganz und gar ein
evangelischer Mann. Ebenso erschlug Samuel, der heilige Prophet, den König Agag
und Elia die Propheten Baals. Ebenso haben das Schwert geführt Mose, Josua, die
Kinder Israel, Simson, David und alle Könige und Fürsten im Alten Testament;
ferner Daniel und seine Genossen Hananja, Asarja und Misael in Babylon; ferner
Joseph in Ägypten, usw.
Vielleicht wollte
aber jemand einwenden, das Alte Testament sei aufgehoben und gelte nicht mehr;
darum könne man den Christen derartige Beispiele nicht vorlegen. Darauf
antworte ich: das ist nicht so. Denn S. Paulus sagt 1 Kor 10,3: „Sie haben
dieselbe geistliche Speise gegessen und denselben geistlichen Trank getrunken
von dem Felsen, der Christus ist, wie wir.“ D.h. sie haben eben denselben Geist
und Glauben an Christus gehabt, den wir haben, und sind eben sogut Christen
gewesen wie wir. Woran sie darum recht getan haben, daran tun alle Christen
recht, von Anfang der Welt bis ans Ende. Denn die Zeitlage und die äußerliche
Lebensführung bewirkt unter den Christen keinen Unterschied. Auch ist's nicht
wahr, dass das Alte Testament in dem Sinn aufgehoben sei, dass man es nicht
mehr halten dürfe oder dass der unrecht täte, der es ganz hielte. Mit dieser
Meinung sind S. Hieronymus und viele andere zu Fall gekommen. Vielmehr ist es
in dem Sinne aufgehoben, dass es freigestellt ist, es zu tun und zu lassen, und
dass es nicht mehr nötig ist, bei Verlust der Seele es zu halten, wie es
dazumal war.
Sagt doch Paulus
1 Kor 7,19; Gal 6,15, weder Vorhaut noch Beschneidung sei etwas, sondern nur
eine neue Kreatur in Christus. D.h. es ist keine Sünde, eine Vorhaut zu haben,
wie die Juden meinten; ebenso ist's auch keine Sünde, sich zu beschneiden, wie
die Heiden meinten, sondern beides ist freigestellt und gut, wenn es einer in
dem Sinn tut, dass er nicht meint, dadurch rechtschaffen oder selig zu werden.
Ebenso verhält sich's auch mit allen andern Stücken des Alten Testaments: es
ist kein Unrecht, wenn es einer lässt, und ist kein Unrecht, wenn es einer tut,
sondern es ist alles frei und gut, das Tun und das Lassen.
Ja, wenn es für
den Nächsten nützlich oder nötig wäre zur Seligkeit, so wäre es nötig, diese
Stücke allesamt zu halten. Denn jedermann ist verpflichtet, zu tun, was seinem
Nächsten nützlich und nötig ist, ob es sich um Altes oder Neues Testament
handelt, ob es etwas Jüdisches oder etwas Heidnisches ist. So lehrt es Paulus 1
Kor 12,13. Denn die Liebe geht durch alles und über alles und sieht nur darauf,
was andern nützlich und nötig ist; sie fragt nicht danach, ob es alt oder neu
ist. Somit ist es auch bei jenen Vorbildern des Schwertgebrauchs
freigestellt,17 dass du ihnen folgen kannst oder nicht; nur wenn du siehst, dass
dein Nächster es braucht, so drängt dich die Liebe, das als notwendig zu tun,
was zu tun oder zu lassen dir sonst freigestellt und unnötig ist. Nur sollst du
nicht denken, du wollest dadurch rechtschaffen oder selig werden, wie die Juden
auf Grund ihrer Werke sich vermaßen; sondern du sollst das dem Glauben
überlassen, der dich ohne Werke zur neuen Kreatur macht.
Und dass wir es
auch durchs Neue Testament beweisen, so ist hier Johannes der Täufer ein fester
Punkt. Er musste ja ohne Zweifel Christus bezeugen, zeigen und lehren, d. h.
seine Lehre musste rein neutestamentlich und evangelisch sein, da er ja
Christus ein rechtes, vollkommenes Volk zuführen sollte; und er bestätigt das
Amt der Kriegsleute und sagt, sie sollen sich an ihrem Solde genügen lassen.
Wenn es nun unchristlich gewesen wäre, das Schwert zu führen, so hätte er sie
deshalb rügen und sie anweisen müssen, sowohl Sold als Schwert fahren zu
lassen; andernfalls hätte er sie den Christenstand nicht recht gelehrt. Ebenso
steht es auch bei S. Petrus: Als er dem Kornelius von Christus predigte, hieß
er ihn nicht sein Amt fahren lassen; das aber müsste er doch getan haben, wenn
es dem Kornelius für seinen Christenstand ein Hindernis gewesen wäre. Außerdem
kommt schon vorher, ehe Kornelius getauft wurde, der Heilige Geist auf ihn;
auch lobt ihn S. Lukas als einen rechtschaffenen Mann schon vor der Predigt von
S. Petrus, ohne doch an ihm auszusetzen, dass er ein Hauptmann der Kriegsleute
und des heidnischen Kaisers war. Was nun der Heilige Geist an Kornelius hat
bestehen lassen, ohne es zu rügen, das sollen auch wir billigerweise ohne Rüge
bestehen lassen.
Das gleiche
Beispiel gibt auch der Mohrenhauptmann Eunuchus; ihn bekehrte und taufte der
Evangelist Philippus und ließ ihn in seinem Amt bleiben und wieder heimziehen,
obwohl er doch für die Königin im Mohrenland ohne Schwert nicht ein so
gewaltiger Amtmann hätte sein können. Ebenso ist's auch gewesen bei dem
Landvogt in Cypern, Paulus Sergius; ihn bekehrte S. Paulus und ließ ihn doch
einen Landvogt unter und über Heiden bleiben. Ebenso haben es ferner viele
heilige Märtyrer gemacht: den heidnischen Kaisern von Rom gehorsam zogen sie
unter ihnen in den Streit und erwürgten ohne Zweifel auch Leute um der
Erhaltung des Friedens willen; so schreibt man von S. Moritz, von Achatius,
Gereon und von vielen andern unter dem Kaiser Julian.
Außerdem liegt
vor die klare, beweiskräftige Stelle aus S. Paulus, wo er sagt: „Die Amtsgewalt
ist von Gott verordnet.“ Ferner: „Die Amtsgewalt trägt das Schwert nicht vergeblich.
Sie ist darin Gottes Dienerin dir zugut, eine Rächerin für den, der Böses tut.“
Bitte, sei du nicht so frech, dass du sagen wolltest, ein Christ könne das
nicht ausüben, was Gottes eigentliches Werk, Ordnung und Schöpfung ist. Sonst
müsstest du auch sagen, ein Christ dürfe nicht essen und trinken und ehelich
werden; denn das sind auch Gottes Werke und Anordnungen. Ist's aber Gottes Werk
und Schöpfung, so ist's gut, und zwar so gut, dass jedermann es christlich und
zu seiner Seligkeit brauchen kann, wie Paulus 1 Tim 4,4 sagt:21 „Alle Kreatur
Gottes ist gut und nichts ist zu verwerfen, für die, die glauben und die
Wahrheit erkennen.“ Unter „alle Kreatur Gottes“ darfst du jedenfalls nicht bloß
Essen und Trinken, Kleider und Schuhe rechnen, sondern auch obrigkeitliche
Gewalt und Untertansein, Ausübung von Schutz und Strafe.
Und, um es kurz
zusammenzufassen: wenn S. Paulus hier sagt, die Amtsgewalt sei Gottes Dienerin,
so darf man sie nicht bloß den Heiden zum Gebrauch einräumen, sondern allen
Menschen. Was heißt denn ‘Sie ist Gottes Dienerin’ anders als soviel: die
Amtsgewalt ist von Natur derart, dass man Gott damit dienen kann? Nun wäre das
eine ganz unchristliche Behauptung, dass es irgendeinen Dienst für Gott gebe,
den ein Christenmensch nicht tun sollte oder müsste; kommt doch der Dienst
Gottes niemand in demselben Masse zu wie den Christen. Und es wäre auch wohl
gut und notwendig, dass alle Fürsten rechte, gute Christen wären. Denn als ein
besonderer Dienst für Gott gehört das Schwert und die Amtsgewalt den Christen
vorbehalten, mehr als allen anderen auf Erden. Darum sollst du das Schwert oder
die Amtsgewalt so hoch schätzen wie den Ehestand oder den Ackerbau oder sonst
ein Handwerk, die Gott gleichfalls eingesetzt hat Wie nun ein Mann im Ehestand,
beim Ackerbau oder Handwerk Gott dienen kann zum Nutzen des andern, und wie er
dienen müsste, wenn sein Nächster es nötig hätte, - ebenso kann er auch als
Träger der Amtsgewalt Gott dienen und soll ihm drin dienen, sofern das
Bedürfnis des Nächsten es erfordert. Denn die Träger der Amtsgewalt sind Gottes
Diener und Handwerksleute, die das Böse strafen und das Gute schützen Jedoch
muss auch das freistehen, dass man die Hände davon lässt, falls es nicht
notwendig sein sollte, ebenso wie das Heiraten und das Ackerbautreiben
freigestellt ist, falls es nicht notwendig ist.
Nun wendest du
ein: „Warum haben es denn Christus und die Apostel nicht ausgeübt?“ Antwort:
Sage mir, warum hat er nicht auch ein Weib genommen oder warum ist er nicht ein
Schuster oder Schneider geworden? Sollte ein Stand oder ein Amt deshalb nicht
gut sein, weil Christus selbst es nicht getrieben hat, wo wollten sämtliche
Stände und Ämter bleiben mit Ausnahme des Predigtamtes, welches er allein
getrieben hat? Christus ist seinem Amt und Stand nachgekommen; damit hat er
keines andern Stand verworfen. Es stund ihm nicht zu, das Schwert zu führen;
denn er sollte nur das Amt führen, durch das sein Reich regiert wird und das
ausdrücklich der Sache seines Reiches dienlich ist. Nun gehört zu seinem Reich
nicht, dass er verheiratet, Schuster, Schneider, Ackermann, Fürst, Henker oder
Büttel ist, auch weder Schwert noch weltliches Recht, sondern nur Gottes Wort
und Geist; damit werden die Seinen von innen her regiert. Dieses Amt trieb er
denn auch dazumal, und er treibt es noch immer: er teilt immerfort Geist und
Gottes Wort aus. Und in diesem Amt mussten ihm die Apostel und alle geistlichen
Regenten nachfolgen. Denn sie haben mit dem geistlichen Schwert, dem Worte
Gottes, wohl so viel zu schaffen, um dieses ihr Handwerk recht zu treiben, dass
sie sich des weltlichen Schwertes wohl enthalten müssen. Sie müssen es andern
überlassen, die nicht zu predigen haben, obwohl es, wie gesagt, ihrem Stand
nicht zuwider ist, davon Gebrauch zu machen. Denn jeder muss seinem Beruf und
Werk nach gehn.
Obschon also
Christus das Schwert nicht geführt und nicht gelehrt hat, so genügt es doch,
dass er es nicht verboten und aufgehoben, sondern bestätigt hat, geradeso, wie
es genügt, dass er den Ehestand nicht aufgehoben, sondern bestätigt hat, obwohl
er kein Weib genommen noch etwas davon gelehrt hat. Denn er musste sich in
allen Dingen mit solchem Stand und Werk ausweisen, die ausdrücklich nur allein
seinem Reiche dienlich waren; sonst würde man aus seinem Verhalten einen Anlass
und ein verbindliches Beispiel nehmen, um zu lehren und zu glauben, Gottes
Reich könne nicht ohne Ehe und Schwert und dergleichen äußerliche Dinge
bestehen (weil Christi Beispiele unbedingt zwingend sind), während es doch nur
durch Gottes Wort und Geist Bestand hat. Und das ist Christi eigentliches Amt
gewesen und musste es sein, da er der oberste König in diesem Reich ist. Nun
aber haben nicht alle Christen dasselbe Amt (obwohl sie es haben können); und
so ist's billig, dass sie sonst ein anderes, äußerliches Amt haben, mit welchem
auch Gott gedient werden kann.
Aus dem allem
folgt nun, was das rechte Verständnis der Worte Christi Mt 5,39 ist: „Ihr sollt
dem Übel nicht widerstreben usw.“, nämlich das: ein Christ soll so geartet
sein, dass er alles Übel und Unrecht sich gefallen lässt, sich nicht selbst
rächt, auch nicht vor Gericht Schutz für sich sucht; sondern er soll überhaupt
nichts von weltlicher Gewalt und Recht in Anspruch nehmen - für sich selbst.
Aber für andere kann und soll er Vergeltung, Recht, Schutz und Hilfe suchen und
dazu beitragen, was er nur kann. Ebenso soll ihm auch die Stelle, welche die
Gewalt inne hat, Hilfe und Schutz gewähren, entweder aus eigenem Antrieb oder
auf Veranlassung anderer; ohne dass er selbst anklagen, darum nachsuchen und
Anlass geben würde. Wenn sie das nicht tut, soll er sich schinden und schänden
lassen und keinem Übel widerstehen, wie Christi Worte lauten.
Und sei du
gewiss, dass diese Lehre Christi nicht nur ein Rat für die Vollkommenen ist,
wie unsere Sophisten lästern und lügen, sondern ein allgemeingültiges strenges
Gebot für alle Christen. Du sollst wissen, dass diejenigen allzumal Heiden sind
unter christlichem Namen, die sich rächen oder vor Gericht um ihr Gut und ihre
Ehre rechten und zanken. Da wird nichts anderes draus, das sage ich dir, und
kehre dich nicht an das, was die Menge tut, und an den allgemeinen Brauch. Denn
es gibt wenig Christen auf Erden; da zweifle du nicht daran. Ausserdem ist
Gottes Wort etwas anderes, als was der allgemeine Brauch ist.
Hier siehst du
dann, dass Christus nicht das Gesetz aufhebt, wenn er sagt: „Ihr habt gehört,
dass zu den Vorfahren gesagt ist: ein Auge um ein Auge. Ich aber sage euch: Ihr
sollt keinem Übel widerstehen usw.“ Vielmehr legt er den Sinn des Gesetzes aus,
wie es zu verstehen ist. Es ist, als würde er sagen: Ihr Juden meinet, es sei
vor Gott recht und wohlgetan, wenn ihr das Eure mit Hilfe des Rechts euch
wieder verschafft; ihr verlasset euch drauf, dass Mose gesagt hat: „Ein Auge um
ein Auge“ usw. Ich sage euch aber, dass Mose dieses Gesetz in bezug auf die
Bösen, die nicht zu Gottes Reich gehören, darum gegeben hat, dass sie sich
nicht selbst rächen oder noch Schlimmeres tun, sondern durch dieses äußerliche
Recht gezwungen werden, Böses zu unterlassen. So werden sie doch durch ein
äußerliches Recht und Regiment der ausübenden Gewalt unterstellt. Ihr aber
sollt euch so verhalten, dass ihr solches Recht nicht brauchet und in Anspruch
nehmt. Denn obwohl die weltliche Obrigkeit ein solches Gesetz haben muss, um die
Ungläubigen darnach zu richten, und obwohl auch ihr selbst es wohl gebrauchen
könnt, um andere darnach zu richten, so sollt ihr's doch für euch und in eurer
eignen Sache nicht suchen noch brauchen. Denn ihr habt das Himmelreich; darum
sollt ihr das Erdreich dem lassen, der es euch nimmt.
Sieh, da siehst
du, wie Christus seinen Worten nicht den Sinn gibt, dass er Moses Gesetz
aufheben oder die weltliche Gewalt verbieten wollte, sondern er entzieht ihr
die Seinigen. Sie sollen die weltliche Gewalt für sich selber nicht gebrauchen,
sondern das den Ungläubigen überlassen, denen sie jedoch auch mit jenem für sie
bestimmten Recht dienen können, solange es Unchristen gibt und man niemand zum
Christentum zwingen kann. Dass aber Christi Worte allein auf die Seinen gehen,
wird daraus klar, dass er nachher sagt, sie sollen ihre Feinde lieben und
vollkommen sein wie ihr himmlischer Vater. Wer aber seine Feinde liebt und
vollkommen ist, der lässt das Gesetz liegen und braucht es nicht, dass er ein
Auge um ein Auge zu fordern hätte. Er wehrt aber andererseits den Unchristen
nicht, die ihre Feinde nicht lieben und das Gesetz brauchen wollen; ja er
hilft, dass solche Gesetze die Bösen erfassen, damit sie nichts Schlimmeres
tun.
So ist nun, meine
ich, das Wort Christi in Einklang gebracht mit den Sprüchen, die das Schwert
einsetzen, und zwar ist das die Meinung: das Schwert soll kein Christ für sich
und seine Sache führen oder anrufen; dagegen für einen andern kann und soll
er's führen und anrufen, damit dem bösen Wesen gesteuert und die
Rechtschaffenheit geschützt wird. In diesem Sinn sagt der Herr auch an
derselben Stelle, ein Christ solle nicht schwören, sondern das von ihm
gesprochene Wort soll Ja, Ja, Nein, Nein sein, d.h. für sich selbst und aus
eigenem Willen und Gelüsten soll er nicht schwören. Wenn aber die Not - der
Nutzen und die Seligkeit oder Gottes Ehre - es erfordert, soll er schwören. So
macht er dann einem andern zum Dienst Gebrauch von dem verbotenen Eid, wie er
einem andern zum Dienst Gebrauch macht von dem verbotenen Schwert. In dieser
Weise schwören ja Christus und Paulus oftmals, um ihre Lehre und Zeugnis den
Menschen nützlich und glaubwürdig zu machen, wie man es denn auch tut und tun
kann bei Bündnissen und Verträgen usw. Davon sagt Psalm 63,12: „Sie werden
gelobt, wenn sie bei seinem Namen schwören.“
Hier fragst du
weiter, ob denn auch die Büttel, Henker, Richter und Advokaten und was zu
diesem Berufszweig gehört, Christen sein können und einen gottgefälligen Stand
haben. Antwort: Wenn die Ausübung der Gewalt und das Schwert, wie oben
nachgewiesen wurde, ein Gottesdienst ist, so muss auch das alles Gottesdienst
sein, was die Gewalt nötig hat, um das Schwert zu führen. Es muss jedenfalls
jemand da sein, der die Bösen verhaftet, verklagt, anpackt und umbringt, die
Guten schützt, entschuldigt, verteidigt und errettet. Wenn sie es deshalb in
der Absicht tun, nicht sich selbst darin zu suchen, sondern nur das Recht und
die Amtsgewalt handhaben zu helfen, damit die Bösen gezwungen werden, so ist es
unbedenklich für sie, und sie können das Amt ausüben, wie ein anderer ein
anderes Handwerk, und sich davon nähren. Denn wie gesagt, die Liebe zum
Nächsten achtet nicht auf ihr Eigenes, sieht auch nicht darauf, wie groß oder
gering, sondern wie nützlich und nötig die Werke für den Nächsten oder für die
Allgemeinheit sind.
Fragst du: Wie?
könnte ich denn nicht für mich selbst und für meine Sache das Schwert
gebrauchen in dem Sinn, dass ich damit nicht das Meine suche, sondern dass das
Übel gestraft würde? Antwort: Solch ein Wunder ist nicht unmöglich, aber es ist
ganz selten und gefährlich. Wo der Geist in so reichem Masse da ist, da mag's
wohl geschehen. Denn so lesen wir von Simson Richt 15,11, dass er sagte: „Ich
habe ihnen getan, wie sie mir getan haben“, wo doch Sprüche 24,29 im Gegensatz
dazu sagt: „Sage nicht, ich will ihm tun, wie er mir getan hat“; und Sprüche
20, 22: „Sprich nicht: Ich will ihm das Böse vergelten.“ Denn Simson war von
Gott damit beauftragt, dass er die Philister plagen und die Kinder Israel erretten
sollte. Obwohl er nun bei den Feinden einen Anlass zum Streit suchte, indem er
seine eigene Sache zum Vorwand nahm, so tat er es doch nicht, um sich selbst zu
rächen oder das Seine zu suchen, sondern andern zum Dienst und zur Strafe für
die Philister. Aber diesem Exempel wird niemand folgen wenn er nicht ein
rechter Christ und voll Geistes ist. Wenn die bloße Vernunft es auch so machen
will, wird sie wohl behaupten, sie wolle nicht das Ihre suchen; aber es wird
von Grund auf falsch sein. Denn ohne Gnade ist's nicht möglich; darum werde
zuvor wie Simson, so kannst du auch tun wie Simson.
Hier kommen wir
zur Hauptsache dieses Sermons. Denn nachdem wir gelernt haben, dass weltliche
Obrigkeit auf Erden sein muss und wie man sie in christlicher Art und zur
Seligkeit gebrauchen soll, müssen wir nunmehr lernen, wie lang ihr Arm ist und
wie weit ihre Hand reicht, damit sie sich nicht zu weit ausstrecke und Gott in
sein Reich und Regiment eingreife. Und zwar ist es überaus nötig, das zu
wissen. Denn ein unerträglicher und schrecklicher Schaden ist die Folge davon,
wenn man ihr zu weiten Spielraum gibt, und es ist auch nicht ohne schädliche
Wirkung, wenn sie zu eng eingegrenzt wird. Hier straft sie zu wenig, dort
straft sie zu viel. Immerhin ist es eher zu ertragen, wenn sie in ersterer
Hinsicht sündigt und zu wenig straft; denn es ist immer besser, einen
Spitzbuben am Leben zu lassen, als einen rechtschaffenen Mann zu töten, nachdem
die Welt doch einmal Spitzbuben hat und haben muss, während sie rechtschaffene
Leute nur wenige hat.
In erster Linie
ist zu merken: die beiden Gruppen der Kinder Adams, von denen die eine, wie
oben gesagt, in Gottes Reich unter Christus, die andere in der Welt Reich unter
der Obrigkeit ist, haben zweierlei Gesetz. Denn jedes Reich muss seine eignen
Gesetze und Rechte haben, und ohne Gesetz kann kein Reich und Regiment
bestehen, wie das die tägliche Erfahrung zur Genüge erkennen lässt. Das
weltliche Regiment hat Gesetze, die sich nicht weiter erstrecken als über Leib
und Gut und was sonst äußerliche Dinge auf Erden sind. Denn über die Seele kann
und will Gott niemand regieren lassen als sich selber allein. Wo darum
weltliche Amtsgewalt sich anmaßt, der Seele ein Gesetz zu geben, da greift sie
Gott in sein Regiment und verführt und verderbt nur die Seelen. Das wollen wir
so klar machen, dass man es mit Händen greifen soll, damit unsere Junker, die
Fürsten und Bischöfe sehen, was für Narren sie sind, wenn sie die Leute mit
ihren Gesetzen und Geboten zwingen wollen, so oder so zu glauben.
Legt man der
Seele ein Menschengesetz auf, dass sie so oder so glauben solle, wie der
Betreffende es angibt, so liegt dafür Gottes Wort gewiss nicht vor. Liegt
Gottes Wort nicht vor, so ist's ungewiss, ob es Gott so haben will. Denn wenn
er etwas nicht gebietet, so kann man dessen nicht gewiss sein, dass es ihm
gefällt; im Gegenteil: man ist gewiss, dass es Gott nicht gefällt. Denn er will
unsern Glauben bloß und rein allein auf sein göttliches Wort gegründet haben,
wie er Mt 16,18 spricht: „Auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen“, und
Joh 10,4 f: „Meine Schafe hören meine Stimme und kennen mich, aber der Fremden
Stimme hören sie nicht, sondern sie fliehen vor ihnen.“ Daraus folgt dann, dass
die weltliche Gewalt mit einem solchen frevelhaften Gebote die Seelen zum
ewigen Tode drängt. Denn sie zwingt, solches zu glauben, als wäre das recht und
Gott gewiss wohl gefällig, und dabei ist es doch ungewiss, ja vielmehr ist's
gewiss, dass es missfällt, solange kein klares Gotteswort vorliegt. Denn wer
das als berechtigt glaubt, was doch unrecht oder ungewiss ist, der verleugnet
die Wahrheit, die Gott selber ist, und glaubt an die Lüge und den Irrtum: er
hält das für recht, was doch unrecht ist.
Deshalb ist es
eine gar überaus närrische Sache, wenn sie gebieten, man solle der Kirche, den
Vätern, den Konzilien glauben, auch wenn kein Gotteswort da sei. Des Teufels
Apostel gebieten etwas Derartiges, und nicht die Kirche. Denn die Kirche
gebietet nichts, wenn sie nicht gewiss weiss, dass es Gottes Wort ist; so sagt
S. Petrus: „Wer da redet, der rede es als Gottes Wort.“ Sie werden aber noch
lange nicht beweisen, dass die Sätze der Konzilien Gottes Wort sind. Noch viel
närrischer aber ist's, wenn man sagt, die Könige und Fürsten und die grosse
Menge glaube so. Bitte, wir sind doch weder auf Könige und Fürsten noch auf die
grosse Menge getauft, sondern auf Christus und Gott selber. Wir heissen auch
nicht Könige, Fürsten oder Menge; wir heissen Christen. Der Seele soll und kann
niemand gebieten, wenn er ihr nicht den Weg zum Himmel zu weisen versteht. Das
kann aber kein Mensch tun, sondern allein Gott. In den Sachen, die der Seelen
Seligkeit betreffen, soll darum nichts gelehrt und angenommen werden als Gottes
Wort.
Weiter: Wenn sie
auch grobe Narren sind, so müssen sie doch das wirklich zugeben, dass sie keine
Gewalt über die Seelen haben; denn jedenfalls kann kein Mensch eine Seele töten
oder lebendig machen, in den Himmel oder in die Hölle führen. Und wenn sie das
uns nicht glauben wollen, so wird jedenfalls Christus das stark genug bezeugen,
wenn er Mt 10,28 spricht: „Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten
und darnach nichts mehr haben, das sie tun können; fürchtet aber den, der,
nachdem er den Leib getötet hat, Macht hat, in die Hölle zu verdammen.“ Ich wenigstens
meine, hier sei die Seele klar genug allen Menschen aus der Hand genommen und
allein unter Gottes Gewalt gestellt. Nun sage mir: Wie viel Verstand muss der
Kopf wohl haben, der an der Stelle Gebote erteilt, wo er gar keine Gewalt hat?
Wer wollte den nicht für unsinnig halten, der dem Mond geböte, er solle
scheinen, wenn der Betreffende es wollte? Wie fein würde das zusammenpassen,
wenn die in Leipzig uns in Wittenberg, oder umgekehrt wir in Wittenberg denen
in Leipzig Gebote auflegen wollten! Denen, die in solcher Weise etwas gebieten
wollten, würde man gewiss zum Dank Nieswurz schenken, um damit das Gehirn zu
reinigen und den Schnupfen loszuwerden. Dennoch verfahren zur Zeit unser Kaiser
und unsre klugen Fürsten so und lassen sich von Papst, Bischof und Sophisten
wie ein Blinder vom andern dazu führen, dass sie ihren Untertanen zu glauben
gebieten, so wie sie es gut dünkt, ohne dass Gottes Wort vorliegt. Und doch
wollen sie dann christliche Fürsten heißen! Da sei Gott vor!
Außerdem kann man
das auch daraus deutlich erkennen: jede Amtsgewalt soll und kann nur da
handeln, wo sie sehen, erkennen, richten, urteilen, Wandel schaffen und ändern
kann. Denn was wäre mir das für ein Richter, der blindlings darauf los urteilen
wollte in Sachen, von denen er weder etwas hört noch sieht? Nun sage mir: wie
kann ein Mensch die Herzen sehen, erkennen, richten, beurteilen und ändern?
Solches ist doch allein Gott vorbehalten, wie Ps 7,10 sagt: „Gott erforscht
Herzen und Nieren“, ferner Ps 7,9: „Der Herr ist Richter über die Leute“, und
Apg 1,24; 15,8: „Gott ist ein Herzenskündiger.“ Und Jer 17,9f: „Böse und
unerforschlich ist das menschliche Herz; wer kann's erforschen? Ich, der Herr,
der die Herzen und Nieren erforscht.“ Ein Gericht soll und muss seiner Sache
ganz gewiss sein, wenn es urteilen soll, und muss alles am hellen Lichte haben;
die Gedanken und Gesinnungen der Seele aber können niemand offenbar sein als
Gott. Darum ist es umsonst und unmöglich, jemand zu gebieten oder mit Gewalt zu
zwingen, so oder so zu glauben. Das muss man anders angreifen; die Gewalt tut's
nicht. Und ich wundere mich über die großen Narren, da sie doch allesamt selber
sagen: „De occultis non judicat ecclesia“ d.h. „Die Kirche richtet nicht in
geheimen Sachen“. Wenn denn das geistliche Regiment der Kirche nur Dinge
regiert, die offen daliegen, wessen untersteht sich dann die unsinnige
weltliche Amtsgewalt, dass sie solche geheimen, geistlichen, verborgenen Dinge,
wie der Glaube es ist, richten und meistern will?
Ferner handelt
jeder auf seine eigene Gefahr hinsichtlich dessen, wie er glaubt, und er muss
für sich selbst zusehen, dass er recht glaube. Denn so wenig als ein anderer
für mich in die Hölle oder in den Himmel fahren kann, so wenig kann er auch für
mich glauben oder nicht glauben, und so wenig als er mir Himmel oder Hölle auf
oder zu schliessen kann, so wenig kann er mich zum Glauben oder Unglauben
treiben. Weil es denn jedem auf sein eigenes Gewissen gelegt ist, wie er glaubt
oder nicht glaubt, und weil damit der weltlichen Amtsgewalt kein Abbruch
geschieht, so soll sie damit auch zufrieden sein und ihrer eignen Aufgabe
nachgehen und so oder so glauben lassen, wie man kann und will, und niemand mit
Gewalt drängen. Denn beim Glauben handelt es sich um ein freies Werk, zu dem
man niemand zwingen kann; ja, es ist ein göttliches Werk im Geiste, geschweige
denn, dass äußere Gewalt es erzwingen und schaffen könnte. Daher ist der
verbreitete Spruch genommen, den Augustin auch hat: „Zum Glauben kann und soll
man niemand zwingen.“
Dazu sehen die
blinden, armen Leute nicht, wie sie damit etwas ganz Vergebliches und
Unmögliches vornehmen. Denn wie streng sie auch gebieten und wie sehr sie auch
toben, so können sie die Leute jedenfalls zu nichts weiter drängen, als dass
sie mit dem Munde und mit der Hand ihnen folgen; das Herz vermögen sie auf
keinen Fall zu zwingen, und sollten sie sich darüber zerreißen. Denn wahr ist
das Sprichwort: „Gedanken sind zollfrei.“ Was ist's denn nun, wenn sie die
Leute zwingen wollen, in ihrem Herzen zu glauben, und sehen doch, dass es
unmöglich ist? Sie treiben damit die schwachen Gewissen mit Gewalt dazu, zu
lügen, zu verleugnen und anderes auszusagen, als sie es im Herzen haben; und so
beladen sie sich selbst mit schrecklichen fremden Sünden. Denn alle die Lügen und
falschen Bekenntnisse, welche solche schwachen Gewissen von sich geben, fallen
auf den zurück, der sie erzwingt. Es wäre jedenfalls viel leichter zu nehmen,
sie ließen ihre Untertanen einfach irren, auch wenn diese irrten, als sie
drängten sie dazu, zu lügen und anderes zu sagen, als sie im Herzen haben, denn
es ist auch nicht recht, wenn man Bösem mit Schlimmerem wehren will.
Aber willst du
wissen, warum Gott es so verhängt dass die weltlichen Fürsten so schrecklich zu
Fall kommen müssen? Ich will dir's sagen. Gott hat sie in einen verkehrten Sinn
dahingegeben und will ein Ende mit ihnen machen, geradeso wie mit den
geistlichen Junkern. Denn meine ungnädigen Herren, Papst und Bischöfe, sollten
Bischöfe sein und Gottes Wort predigen. Das unterlassen sie und sind weltliche
Fürsten geworden und regieren mit Gesetzen, die nur Leib und Gut betreffen.
Fein haben sie es umgekehrt: innerlich sollten sie die Seelen regieren durch
Gottes Wort; statt dessen regieren sie äußerlich Schlösser, Städte, Land und
Leute und martern die Seelen mit unsäglichem Morden. So ist es auch bei den
weltlichen Herren, die Land und Leute äußerlich regieren sollten: das
unterlassen sie; sie können nicht mehr als schinden und schaben: eine Abgabe
auf die andere, einen Zins über den andern setzen, da einen Bären, hier einen
Wolf loslassen. Dazu hin lassen sie keine rechte Glaubwürdigkeit und
Rechtlichkeit bei sich finden, sie handeln so, dass es Räubern und Spitzbuben
zu viel wäre, und ihr weltliches Regiment liegt ebenso tief danieder als das
Regiment der geistlichen Tyrannen. Darum verkehrt Gott auch ihren Sinn, dass
sie sinnlos zufahren und geistlich über Seelen regieren wollen, wie jene
weltlich regieren wollen. So treiben sie es, um ja getrost fremde Sünde, Gottes
und aller Menschen Hass auf sich zu laden, bis sie samt Bischöfen, Pfaffen und
Mönchen zugrunde gehen, ein Bösewicht mit dem andern. Und dann geben sie die
Schuld an dem allem dem Evangelium, und statt dass sie ihre Sünde bekennen,
lästern sie Gott und sagen, unsere Predigt habe das zur Folge gehabt,28 was in
Wirklichkeit ihre verkehrte, böse Art verdient hat und noch ohne Unterlass
verdient. So machten es die Römer auch, als sie vernichtet wurden. Siehe, da
hast du den Ratschluss Gottes über die großen Hansen; aber sie sollen's nicht
glauben, damit dieser ernste Ratschluss Gottes nicht durch ihre Busse
verhindert werde.
Nun wendest du
ein: „Paulus hat aber doch Röm 13,1 gesagt, jede Seele solle der Amtsgewalt und
Obrigkeit untertan sein; und Petrus spricht, wir sollen aller menschlichen
Ordnung untertan sein. „ Antwort: Damit kommst du mir recht. Denn diese Sprüche
helfen zu mir. S. Paulus redet von der Obrigkeit und Amtsgewalt. Nun hast du
soeben gehört, dass über die Seele niemand Gewalt haben kann als Gott; so muss
S. Paulus jedenfalls von keinem Gehorsam reden können, als wo die Amtsgewalt in
Kraft treten kann. Daraus folgt, dass er nicht vom Glauben redet, sondern von
den äußeren Gütern. Das zeigen auch seine Worte deutlich und klar, in denen er
sowohl der Amtsgewalt als auch dem Gehorsam das Ziel steckt, wenn er sagt:
„Gebet jedermann das Seine: Steuer, dem die Steuer, Zoll, dem der Zoll, Ehre,
dem die Ehre, Furcht, dem die Furcht zukommt.“ Sieh daraus: weltlicher Gehorsam
und Amtsgewalt bezieht sich nur äußerlich auf Steuer, Zoll, Ehre, Furcht.
Ferner, wenn er sagt: „Die Amtsgewalt ist nicht zu fürchten für die guten,
sondern für die bösen Werke“, so schränkt er damit abermals ihren Machtbereich
ein: sie soll nämlich nicht den Glauben oder Gottes Wort, sondern böse Werke meistern.
Das will auch S.
Petrus, wenn er von „menschlicher Ordnung“ spricht. Nun kann sich jedenfalls
menschliche Ordnung nicht in den Himmel hinein und über die Seele erstrecken,
sondern nur auf Erden, auf den äußeren Umgang der Menschen untereinander, wo
Menschen sehen, erkennen, richten, urteilen, strafen und erretten können.
Das alles hat
auch Christus selber fein unterschieden und kurz zusammengefasst, wenn er Mt
22,21 spricht: „Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes
ist.“ Wenn nun die kaiserliche Amtsgewalt sich in Gottes Reich und Gewalt
hinein erstreckte und nicht etwas Besonderes wäre, so würde er es nicht in
dieser Weise unterschieden haben. Denn wie gesagt: die Seele ist nicht unter
der Gewalt des Kaisers; er kann sie weder lehren noch führen, weder töten noch
lebendig machen, weder binden noch lösen, weder richten noch verurteilen, weder
festhalten noch loslassen. Das alles müsste doch der Fall sein, wenn er die
Macht hätte, über sie zu gebieten und ihr ein Gesetz aufzulegen. Dagegen über
Leib, Gut und Ehre hat er wohl die Macht, das zu tun; denn das steht unter
seiner Gewalt.
Das alles hat
auch David schon lange vorher mit einem kurzen feinen Spruch zusammengefasst,
wenn er Ps 115,16 sagt: „Den Himmel hat er dem Herrn des Himmels gegeben, aber
die Erde hat er den Menschenkindern gegeben.“ D.h. über das, was auf Erden ist
und zum zeitlichen, irdischen Reich gehört, hat ein Mensch wohl Gewalt von
Gott; aber was zum Himmel und zum ewigen Reich gehört, das steht allein unter dem
himmlischen Herrn. Auch Mose hat das nicht vergessen, wenn er 1 Mose 1,26 sagt:
„Gott sprach: ‘Lasset uns Menschen machen, die über die Tiere auf der Erde,
über die Fische im Wasser, über die Vögel in der Luft regieren. ‘“ Da ist den
Menschen nur ein äußerliches Regiment zu eigen gegeben. Und kurz gesagt, die
Meinung ist das, wie es S. Petrus ausspricht: „Man muss Gott mehr gehorchen als
den Menschen.“ Damit steckt er jedenfalls der weltlichen Gewalt gleichfalls
eine deutliche Schranke; denn wenn man alles halten müsste, was die weltliche
Amtsgewalt wollte, so wäre das umsonst gesagt: „Man muss Gott mehr gehorchen
als den Menschen.“
Wenn nun dein
Fürst oder weltlicher Herr dir gebietet, zum Papst zu halten, so oder so zu
glauben, oder wenn er dir gebietet, Bücher herauszugeben, so sollst du so
sagen: „Es gebührt Lucifer nicht neben Gott zu sitzen. Lieber Herr, ich bin
verpflichtet, Euch mit Leib und Gut zu gehorchen. Gebietet mir gemäss Eurer
Amtsgewalt auf Erden, so will ich folgen. Heißt Ihr mich aber glauben und
Bücher auszuliefern, so will ich nicht gehorchen. Denn da seid Ihr ein Tyrann
und greift zu hoch. Ihr gebietet, wo Ihr weder Recht noch Macht habt usw.“
Nimmt er dir deswegen dein Gut und straft solchen Ungehorsam, selig bist du!
und danke Gott, dass du gewürdigt bist, um des göttlichen Wortes willen zu
leiden. Lass ihn nur toben, den Narren: er wird seinen Richter wohl finden.
Denn ich sage dir: widersprichst du ihm nicht und gibst ihm nach, so dass er
dir den Glauben oder die Bücher nimmt, so hast du wahrlich Gott verleugnet.
So haben - um ein
Beispiel dafür anzuführen - in Meissen, Bayern und in der Mark und an anderen
Orten die Tyrannen ein Gebot ausgehen lassen, man solle die Neuen Testamente an
die Ämter hin und her ausliefern. Hier sollen ihre Untertanen sich so
verhalten: nicht ein Blättlein, nicht einen Buchstaben sollen sie ausliefern
bei Verlust ihrer Seligkeit. Denn wer es tut, der liefert Christus dem Herodes
in die Hände; handeln die Fürsten hier doch als Christusmörder wie Herodes. Dagegen
sollen die Untertanen es leiden, wenn man den Befehl gibt, ihnen durch ihre
Häuser zu laufen und mit Gewalt Bücher oder Güter zu nehmen. Einem Frevel soll
man nicht Widerstand leisten, sondern erleiden; man soll ihn aber nicht
gutheißen und soll nicht dazu helfen oder folgen oder gehorchen - auch nur mit
einem Schritt oder mit einem Finger. Denn solche Tyrannen handeln, wie
weltliche Fürsten es sollen; es sind ‘weltliche’ Fürsten. Die ‘Welt’ aber ist
Gottes Feind; darum müssen sie auch tun, was Gott zuwider, der Welt gemäss ist,
damit sie ja nicht ihrer Ehre verlustig gehen, sondern ‘weltliche’ Fürsten
bleiben. Darum lass dich's nicht wundern, wenn sie wider das Evangelium toben
und närrisch tun; sie müssen ihrem Titel und Namen Genüge tun.
Und du sollst
wissen, dass von Anbeginn der Welt an ein kluger Fürst ein gar seltener Vogel
ist, ein noch viel seltenerer ein rechtschaffener Fürst. Sie sind im
allgemeinen die grössten Narren oder die schlimmsten Bösewichter auf Erden;
deshalb muss man sich bei ihnen immer auf das Schlimmste gefasst machen und
darf wenig Gutes von ihnen erwarten, besonders in göttlichen Sachen, die das
Heil der Seele angehen. Denn sie sind Gottes Gefängniswärter und Henker, und
sein göttlicher Zorn gebraucht sie, um die Bösen zu strafen und äußerlichen
Frieden zu halten. Es ist ein großer Herr, unser Gott; darum muss er auch
solche edlen, hochgeborenen, reichen Henker und Büttel haben, und will, dass
sie Reichtum, Ehre und Furcht von jedermann in Hülle und Fülle haben sollen. Es
gefällt seinem göttlichen Willen, dass wir seine Henker gnädige Herren heißen,
ihnen zu Füssen fallen und mit aller Demut untertan sind, vorausgesetzt, dass
sie ihr Handwerk nicht zu weit ausdehnen, indem sie aus Henkern Hirten werden
wollen. Schlägt nun ein Fürst gut ein, dass er klug, rechtschaffen oder ein
Christ ist, so ist das eines der großen Wunder und das allerteuerste Zeichen
göttlicher Gnade über das betreffende Land. Denn in dem allgemeinen Lauf der
Welt geht es nach dem Spruch Jes 3,4: „Ich will ihnen Kinder zu Fürsten geben
und Leute mit offnem Maul sollen ihre Herren sein“, und nach Hos 13,11: „Ich
will dir einen König aus Zorn geben und mit Ungnade ihn wieder nehmen.“ Die
Welt ist zu böse und ist es nicht wert, dass sie viel kluge und rechtschaffene
Fürsten haben sollte. Frösche müssen Störche haben.
Nun machst du
abermals einen Einwand: „Ja, weltliche Gewalt zwingt nicht zum Glauben, sondern
verhindert nur äußerlich, dass man die Leute nicht mit falscher Lehre verführe.
Wie könnte man sonst den Ketzern wehren?“ Antwort: Das sollen die Bischöfe tun;
denen ist dieses Amt übertragen, und nicht den Fürsten. Denn der Ketzerei kann
man niemals mit Gewalt wehren. Das muss man anders angreifen; hier geht es um
einen anderen Streit und Handel als mit dem Schwert. Gottes Wort soll hier
streiten; wenn dieses es nicht ausrichtet, so wird es wohl auch von weltlicher
Gewalt nicht ausgerichtet werden, selbst wenn sie die Welt mit Blut füllte.
Ketzerei ist eine geistliche Sache; die kann man mit keinem Eisen zerhauen, mit
keinem Feuer verbrennen, mit keinem Wasser ertränken. Es ist aber allein das
Wort Gottes dazu da; das tut's, wie Paulus 2 Kor 10,4 f sagt: „Unsre Waffen
sind nicht fleischlich, sondern mächtig in Gott, um allen Rat und alles Hohe zu
zerstören, das sich wider die Erkenntnis Gottes auflehnt; wir nehmen alle
Gedanken unter den Dienst Christi gefangen.“
Außerdem gibt es
keine größere Bestärkung des Glaubens und der Ketzerei, als wenn man ohne
Gottes Wort mit bloßer Gewalt dagegen vorgeht. Denn man hält es für ausgemacht,
dass eine solche Gewaltsamkeit keine gerechte Sache hinter sich hat und dem
Recht zuwiderhandelt; denn sie geht ohne Gottes Wort vor und weiß sich nicht
anders zu helfen als mit bloßer Gewalt, wie es die vernunftlosen Tiere machen. Man
kann ja auch in weltlichen Sachen nicht mit Gewalt vorgehen, wenn nicht vorher
das Unrecht durch das Recht überwunden ist.34 Wie viel unmöglicher ist's, in
diesen hohen, geistlichen Sachen mit Gewalt, ohne Recht und ohne Gottes Wort zu
verfahren! Darum sieh, wie feine, kluge Junker mir das sind! Sie wollen
Ketzerei vertreiben und greifen das in keiner andern Weise an, als dass sie den
Gegner nur bestärken, sich selber in Verdacht bringen und jene rechtfertigen.
Lieber, willst du Ketzerei vertreiben, so musst du den rechten Kunstgriff
treffen: du musst sie vor allen Dingen aus dem Herzen reißen und sie von Grund
aus unter Einwilligung abwenden. Durch Gewalt wirst du das nicht zuwege
bringen, sondern nur bestärken. Was hilft's dich denn, wenn du die Ketzerei im
Herzen bestärkst und nur äußerlich auf der Zunge schwächst und zum Lügen
drängst? Gottes Wort dagegen - das erleuchtet die Herzen, und damit fallen dann
von selbst alle Ketzerei und Irrtum aus dem Herzen.
Von einem solchen
Zerstören der Ketzerei hat der Prophet Jesaja Kunde gegeben, wenn er sagt: „Er
wird die Erde schlagen mit der Rute seines Mundes und den Gottlosen töten mit
dem Geist seiner Lippen.“ Da siehst du, dass es durch den Mund ausgerichtet
wird, wenn der Gottlose getötet und wenn er bekehrt werden soll. Um es kurz
zusammenzufassen: Solche Fürsten und Tyrannen wissen nicht, dass gegen Ketzerei
streiten soviel heißt, als gegen den Teufel streiten, der von den Herzen mit
seinem Irrtum Besitz ergriffen hat. In diesem Sinne sagt Paulus Eph 6,12: „Wir
haben nicht mit Fleisch und Blut zu streiten, sondern mit der bösen Macht
geistlicher Art, mit den Fürsten, die diese Finsternis regieren usw.“ Solange
man deshalb nicht den Teufel austreibt und von den Herzen wegjagt, gilt ihm
das, dass ich seine Werkzeuge mit Schwert oder Feuer umbringe, ebensoviel als
wenn ich mit einem Strohhalm gegen den Blitz stritte. Das alles hat Hiob
reichlich bezeugt, wenn er davon spricht, wie der Teufel Eisen wie Stroh achte
und keine Gewalt auf Erden fürchte. Man sieht das auch deutlich in der
Erfahrung. Denn wenn man auch alle Juden und Ketzer mit Gewalt verbrennen
würde, so ist und wird dadurch doch keiner überwunden und bekehrt.
Doch eine solche
Welt soll solche Fürsten haben, es soll ja keine Seite das ihr zukommende Amt
versehen. Die Bischöfe sollen das Wort Gottes liegen lassen und die Seelen
nicht damit regieren, sondern sollen das den weltlichen Fürsten anbefehlen,
dass diese hier mit dem Schwert regieren. Umgekehrt sollen die weltlichen
Fürsten Wucher, Raub, Ehebruch, Mord und andere böse Werke hingehen lassen, und
das dann die Bischöfe mit Bannbriefen strafen lassen. So sollen sie den Schuh
fein umkehren: mit Eisen die Seelen und mit Briefen den Leib regieren, so dass
weltliche Fürsten geistlich und geistliche Fürsten weltlich regieren. Was hat
der Teufel sonst auf Erden zu schaffen, als dass er so mit seinem Volk ein
Gaukel- und Fastnachtsspiel treibt? Das sind unsere christlichen Fürsten, die
den Glauben verteidigen und den Türken fressen wollen. Ja freilich, feine
Gesellen, auf die wohl zu vertrauen ist! Sie werden mit solcher feinen Klugheit
etwas ausrichten; nämlich, dass sie den Hals brechen und Land und Leute in
Jammer und Not bringen.
Ich wollte aber
den verblendeten Leuten gar treulich raten, dass sie sich vor einem kleinen
Sprüchlein hüten, das in Psalm 107,40 steht: Effundit contemptum super
principes. Ich schwöre euch bei Gott: werdet ihr's außer Acht lassen, dass
dieses kleine Sprüchlein über euch in Kraft tritt, so seid ihr verloren, wenn
auch jeder von euch so mächtig als der Türke wäre; euer Schnauben und Toben
wird euch nichts helfen. Es hat damit schon zu einem großen Teil angefangen.
Denn es gibt ganz wenige Fürsten, die man nicht für Narren oder Spitzbuben
hält. Das kommt daher, dass sie sich auch dementsprechend zeigen und der
gemeine Mann verständig wird. Der Fürsten Plage (die Gott Verachtung heißt) ist
schon gewaltig unter dem Volk und gemeinen Mann im Gange, und ich fürchte, es
wird dem nicht zu wehren sein, wenn sich die Fürsten nicht fürstlich verhalten
und wieder mit Vernunft und bedachtsam zu regieren anfangen. Man wird nicht,
man kann nicht, man will nicht eure Tyrannei und Mutwillen auf die Länge
leiden! Liebe Fürsten und Herren, darnach wisset euch zu richten; Gott will's
nicht länger haben. Es ist jetzt nicht mehr eine Welt wie vor Zeiten, wo ihr
die Leute wie das Wild jagtet und triebet. Darum lasst ab von eurem Frevel und
Gewalttat und seid darauf bedacht, dem Recht entsprechend zu handeln; und
lasset Gottes Wort seinen Gang haben, den es doch haben will, muss und soll,
und dem ihr's nicht wehren werdet. Ist Ketzerei da, die überwinde man, wie
sich's gebührt, mit Gottes Wort; werdet ihr aber viel damit umgehen, das
Schwert zu zücken, so sehet zu, dass nicht einer kommt, der es euch einstecken
heißt - nicht in Gottes Namen!
Nun könntest du
aber sagen: „Weil denn nun unter den Christen kein weltliches Schwert sein
soll, wie will man sie dann äußerlich regieren? Es muss doch jedenfalls auch
unter den Christen eine Obrigkeit bleiben!“ Antwort: Unter den Christen soll
und kann keine Obrigkeit sein, sondern jeder ist zugleich dem andern untertan.
So sagt Paulus Röm 12,10: „Jeder soll den andern für den ihm Vorgeordneten
halten“, und Petrus: „Seid allesamt untereinander untertan.“ Das will auch Christus:
„Wenn du zur Hochzeit geladen wirst, so setze dich ganz unten an.“ Es gibt
unter den Christen keinen, der über den andern stünde, als nur Christus selber
und allein. Und was kann es da für eine Obrigkeit geben, wenn sie alle gleich
sind und Recht, Macht, Gut und Ehre in einerlei Weise besitzen und wenn dazu
keiner des andern Vorgesetzter zu sein begehrt, sondern jeder des andern
Untergebener sein will? Könnte man doch, wo solche Leute sind, keine Obrigkeit
aufrichten, auch wenn man's gerne tun wollte, weil es ihre Art und Natur nicht
erträgt, einen Vorgesetzten zu haben, da keiner ein Vorgesetzter sein will und
sein kann. Wo aber keine solchen Leute sind, da gibt es auch keine rechten
Christen.
Was sind dann die
Priester und Bischöfe? Antwort: Ihr Regiment ist nicht eine Obrigkeit oder
Gewalt, sondern ein Dienst und Amt. Denn sie sind nicht höher und nicht besser
als andere Christen. Darum sollen sie auch andern kein Gesetz oder Gebot
auflegen ohne deren Einwilligung und Erlaubnis; vielmehr besteht ihr Regieren
in nichts andrem als darin, dass sie Gottes Wort treiben, die Christen damit
leiten und Ketzerei damit überwinden. Denn wie gesagt, die Christen kann man
keineswegs anders als allein mit Gottes Wort regieren. Denn Christen müssen im
Glauben regiert werden, nicht mit äußerlichen Werken. Glaube aber kann durch
kein Menschenwort, sondern nur durch Gottes Wort kommen. So sagt es Paulus Röm
10,12: „Der Glaube kommt durchs Hören, das Hören aber kommt durchs Wort
Gottes.“ Diejenigen nun, welche nicht glauben, die sind keine Christen; die
gehören auch nicht unter Christi Reich, sondern unter das weltliche Reich,
damit man sie mit dem Schwert und äußerlichem Regiment zwinge und regiere. Die
Christen tun alles Gute von selber ohne Zwang und haben für sich genug allein
an Gottes Wort. Doch davon habe ich sonst viel und oft geschrieben.
Nachdem wir nun
wissen, wie weit weltliche Gewalt sich erstreckt, wird's auch Zeit sein, [dass
wir sagen,] wie sich ein Fürst drein finden soll. Das tun wir um derentwillen,
die gerne auch christliche Fürsten und Herren sein wollten und auch in jenes
Leben zu kommen trachten. Freilich sind das gar überaus wenige. Christus
beschreibt ja selbst die Art der weltlichen Fürsten Luk 22,25 mit den Worten:
„Die weltlichen Fürsten herrschen, und welche die Obersten sind, verfahren mit
Gewalt.“ Denn wenn sie als Herren geboren oder gewählt sind, so meinen sie
nicht anders, als dass sie ein Recht dazu hätten, sich dienen zu lassen und mit
Gewalt zu regieren. Wer nun ein christlicher Fürst sein will, der muss
wahrhaftig die Absicht ablegen, herrschen und mit Gewalt verfahren zu wollen.
Denn verflucht und verdammt ist alles Leben, das man sich selbst zunütz und
zugut lebt und sucht, verflucht alle Werke, die nicht in der Liebe gehen. Sie gehen
aber dann in der Liebe, wenn sie nicht auf Lust, Nutzen, Ehre, Behagen und Heil
der eignen Person gerichtet sind, sondern von ganzem Herzen auf Nutzen, Ehre
und Heil von anderen.
Darum will ich
hier nichts sagen von den weltlichen Geschäften und Gesetzen der Obrigkeit.
Denn das ist eine weitläufige Sache, und Rechtsbücher gibt es schon allzu
viele. Freilich, wenn ein Fürst nicht selber klüger ist als seine Juristen und
nicht weiter versteht, als in Rechtsbüchern vorliegt, so wird seine Regierung
gewiss nach dem Spruch gehen: „Ein Fürst, dem es an Klugheit fehlt, der wird
viele mit Unrecht unterdrücken.“ Denn so gut und angemessen die Rechte sind, so
haben sie doch allesamt einen Vorbehalt: dass sie gegen eine Notlage nicht in
Kraft treten können. Darum muss ein Fürst das Recht ebenso fest in seiner Hand
haben als das Schwert und mit eigener Vernunft ermessen, wann und wo das Recht
streng anzuwenden oder zu lindern sei. Es soll also immer die Vernunft über
alles Recht regieren und das oberste Recht und der Meister alles Rechtes
bleiben. Es ist wie bei einem Hausvater: auch wenn er für sein Gesinde und
seine Kinder genau Zeit und Maß für Arbeit und Kost festsetzt, so muss er diese
Satzungen doch in seiner Macht behalten: er muss es also ändern oder nachlassen
können, wenn der Fall einträte, dass sein Gesinde krank, gefangen, aufgehalten,
betrogen oder sonst verhindert würde, und er darf bei Kranken nicht mit der
gleichen Strenge verfahren wie bei Gesunden. Das sage ich deshalb, damit man
nicht meine, es genüge und es sei eine treffliche Sache, wenn man dem
geschriebenen Recht oder den juristischen Ratgebern folgt. Es gehört mehr dazu.
Wie soll es dann
ein Fürst machen, wenn er nicht so klug ist und sich durch Juristen und
Rechtsbücher leiten lassen muss? Antwort: Deshalb habe ich gesagt, der Stand
eines Fürsten sei ein gefährlicher Stand. Und wenn er nicht selber so klug ist,
dass er selbst sowohl sein Recht als auch seine Ratgeber leitet, so geht es
nach dem Spruch Salomos: „Wehe dem Land, das ein Kind zum Fürsten hat!“ Das
erkannte auch Salomo; darum verzagte er an allem Recht, das Mose auch für ihn
mit Gottes Hilfe vorgeschrieben hatte, und an allen seinen Fürsten und
Ratgebern, und wandte sich an Gott selber und bat ihn um ein weises Herz, um
das Volk zu regieren. Diesem Vorbild muss es ein Fürst nachmachen; er muss mit
Furcht vorgehen und darf sich weder auf tote Bücher noch auf lebendige Köpfe
verlassen, sondern muss sich bloß an Gott halten, ihm in den Ohren liegen und
ihn, was besser ist als alle Bücher und Lehrmeister, um rechten Verstand
bitten, um seine Untertanen mit Weisheit zu regieren. Darum weiß ich einem
Fürsten kein Recht vorzuschreiben, sondern ich will nur sein Herz unterrichten,
wie das gesinnt und beschaffen sein soll in allen Rechten, Entschließungen,
Urteilen und Händeln; wenn er sich dann so verhält, wird es ihm Gott gewiss
geben, dass er alle Rechte, Entschließungen und Händel gut und gottgefällig
hinausführen kann.
Erstens muss er
auf seine Untertanen sehen und hier sein Herz in rechte Verfassung bringen. Das
tut er aber dann, wenn er sein ganzes Sinnen darauf richtet, ihnen nützlich und
dienstbar zu sein. Er darf nicht so denken: „Land und Leute gehören mir; ich
will's machen, wie mir's gefällt“, sondern so: „Ich gehöre dem Land und den
Leuten; ich soll's machen, wie es ihnen nützlich und gut ist. Nicht darnach
soll ich suchen, wie ich selber großartig auftrete und herrsche, sondern wie
sie in gutem Frieden beschützt und verteidigt werden.“ Und zwar soll er Christi
Bild sich vor Augen stellen und so sagen: „Sieh, Christus, der oberste Fürst,
ist gekommen und hat mir gedient; er hat nicht darnach gesucht, wie er Gewalt,
Gut und Ehre an mir gewinnen könne, sondern hat nur auf meine Not gesehen und
hat alles drangesetzt, dass ich Gewalt, Gut und Ehre an ihm und durch ihn
gewinne. Ebenso will ich's auch machen: ich will an meinen Untertanen nicht das
Meine suchen, sondern das Ihre, und will ihnen mit meinem Amt auch ebenso
dienen, sie schützen, anhören und verteidigen und allein in dem Sinn regieren,
dass sie Gutes und Nutzen davon haben und nicht ich.“ So soll also ein Fürst in
seinem Herzen sich seiner Amtsgewalt und obrigkeitlichen Stellung entäußern und
sich des Bedürfnisses seiner Untertanen annehmen und dabei so handeln, als wäre
es sein eignes Bedürfnis. Denn so hat es uns Christus gemacht, und das sind die
eigentlichen Werke christlicher Liebe.
Nun wendest du
ein: „Wer wollte dann ein Fürst sein? Damit würde der Fürstenstand der
elendeste auf Erden sein; viel Mühe, Arbeit und Unlust würde darin sein. Wo
würden dann die fürstlichen Ergötzungen bleiben mit Tanzen, Jagen, Wettkämpfen,
Spielen und was dergleichen weltliche Freuden sind?“ Darauf antworte ich: Wir
lehren jetzt nicht, wie ein weltlicher Fürst leben soll, sondern wie ein weltlicher
Fürst ein Christ sein soll, um auch in den Himmel zu kommen. Wer weiß das
nicht, dass ein Fürst ein seltenes Wild im Himmel ist? Ich rede auch nicht
deshalb, weil ich hoffte, weltliche Fürsten würden es zu Herzen nehmen, sondern
nur für den Fall, dass irgend einer da wäre, der auch gerne ein Christ wäre und
wissen wollte, wie er sich verhalten soll. Denn ich bin dessen völlig gewiss,
dass Gottes Wort sich nicht nach den Fürsten richten und biegen wird, sondern
die Fürsten müssen sich nach ihm richten. Mir genügt es, wenn ich zeige, dass
es nicht unmöglich ist, als ein Fürst ein Christ zu sein, obwohl es selten ist
und schwer dazu kommt. Denn wenn sie sich so drein schicken würden, dass ihr
Tanzen und Jagen und Wettkämpfen für die Untertanen ohne Schaden bliebe, und
wenn sie sonst ihr Amt ihnen gegenüber in der Liebe gehen ließen, so würde Gott
nicht so hart sein, dass er ihnen Tanzen und Jagd und Wettkämpfe nicht gönnen
würde. Aber wenn sie, ihrem Amt entsprechend, ihren Untertanen Pflege und
Fürsorge widmen würden, so würde sich's wohl von selber lernen, dass gar
manches liebe Tanzen, Jagen, Wettkämpfen und Spielen unterbleiben müsste.
Zweitens soll ein
Fürst auf die großen Herren, auf seine Ratgeber, Acht geben, und sich ihnen
gegenüber so verhalten, dass er keinen verachtet, aber auch keinem so weit
vertraut, dass er ihm alles überließe. Denn Gott kann keins von beiden leiden.
Er hat einmal durch einen Esel geredet; darum ist kein Mensch zu verachten, wie
gering er auch sein mag. Umgekehrt hat er den höchsten Engel vom Himmel fallen
lassen; darum ist auf keinen Menschen Verlass, so klug, heilig und groß er auch
sein mag. Vielmehr soll man jeden anhören und abwarten, durch welchen Gott
reden und wirken will. Denn das ist der höchste Übelstand an Herrenhöfen, wenn
ein Fürst seinen Verstand den großen Herren und Schmeichlern gefangen gibt und
es versäumt, selbst nach dem Rechten zu sehen. Betrifft es doch nicht bloß
einen einzelnen Menschen, wenn ein Fürst Fehler macht und ein Narr ist, sondern
Land und Leute müssen dieses Närrischsein ertragen. Darum soll ein Fürst seinen
Gewaltigen nur soweit vertrauen und sie machen lassen, dass er dann doch den
Zügel in der Faust behält; er darf sich nicht in Sicherheit wiegen und
schlafen, sondern muss Aufsicht führen und, wie Josaphat es tat, übers Land
reiten und allenthalben nachsehen, wie man regiert und Recht spricht. Dann wird
er selber die Erfahrung machen, dass man keinem Menschen ganz vertrauen soll.
Denn du darfst nicht denken, dass ein anderer sich um dich und dein Land ebenso
eifrig annehmen werde wie du, außer er sei voll Geistes und ein guter Christ.
Von Natur tut das ein Mensch nicht. Weil du denn nicht weißt, ob er ein Christ
ist oder wie lange er es bleibt, so kannst du dich auch nicht sicher auf ihn verlassen.
Und hüte dich nur
vor denen am meisten, die sagen: „Ei gnädiger Herr, vertraut mir denn Euer
Gnaden nicht mehr als nur so viel? Wer will Euer Gnaden dienen usw.?“ Denn ein
solcher ist gewiss nicht lauter; er will Herr im Lande sein und dich zum untätigen
Maulaffen machen. Denn wenn er ein rechtschaffener Christ und redlich wäre,
würde er es sehr gern haben, dass du ihm in nichts vertraust, und würde dich
darum loben und lieben, dass du ihm so genau auf die Finger siehst. Denn ebenso
wie er selbst gottgefällig handelt, so will und kann er es ertragen, dass sein
Tun vor dir und jedermann offen zutage liegt, wie Christus spricht Joh 3,21:
„Wer Gutes tut, der kommt ans Licht, damit seine Werke gesehen werden; denn sie
sind in Gott geschehen.“ Jener aber will dir die Augen blenden und will im
Finstern handeln, so, wie Christus an derselben Stelle auch sagt: „Wer Übel
tut, der scheut das Licht, damit seine Werke nicht gestraft werden.“ Darum hüte
dich vor ihm. Und wenn er deswegen murrt, so sprich: Mein Lieber, ich tue dir
kein Unrecht; Gott will nicht, dass ich mir selber und irgendeinem Menschen
vertraue. Zürne mit ihm selber darüber, dass er das haben will oder dass er
dich nicht zu mehr als zu einem Menschen geschaffen hat. Freilich, auch wenn du
ein Engel wärest, wollte ich dir auch dann noch nicht so völlig vertrauen,
nachdem doch auch Lucifer nicht zu trauen gewesen ist; denn trauen soll man
Gott allein.
Es denke nur kein
Fürst, dass er es besser haben wird als David, der doch Vorbild aller Fürsten ist.
Er hatte einen Ratgeber namens Ahithophel; der war so weise, dass der Text
sagt, das, was Ahithophel angab, habe so viel gegolten, als wenn einer Gott
selbst gefragt hätte. Dennoch kam er zu Fall und stürzte so tief, dass er
David, seinen eigenen Herrn, verraten, erwürgen und vertilgen wollte. Damals
musste David recht lernen, wie auf keinen Menschen zu vertrauen ist. Warum,
meinst du, hat Gott ein solch schreckliches Beispiel geschehen und
niederschreiben lassen, wenn nicht eben nur dazu, um die Fürsten und Herren vor
dem allergefährlichsten Unglück zu warnen, das sie erleben können; damit sie
nämlich niemand vertrauen sollen. Denn es ist eine ganz jämmerliche Sache, wenn
an Herrenhöfen Schmeichler regieren oder der Fürst sich auf andere verlässt und
sich ihnen ausliefert und jedermann machen lässt, wie er's will.
Sagst du dann:
„Wenn man denn niemand vertrauen soll, wie will man Land und Leute regieren?“
Antwort: Anbefehlen und wagen sollst du, vertrauen und dich darauf verlassen
sollst du nicht, außer allein auf Gott. Du musst freilich die Ämter jemand
anbefehlen und es mit ihm wagen, aber du darfst ihm nicht weiter vertrauen als
einem, der versagen kann, so dass du weiter zusehen musst und nicht schlafen
darfst. Es ist wie bei einem Fuhrmann: der vertraut seinen Rossen und Wagen,
die er lenkt; aber er lässt sie nicht allein fahren, sondern hält Zügel und
Geißel in der Hand und schläft nicht. Und beherzige die alten Sprichwörter, die
ohne allen Zweifel von der Erfahrung gelehrt wurden und stimmen: „Des Herrn
Auge macht das Pferd fett“, ferner: „Des Herrn Fußstapfen düngen den Acker
gut“; d.h. wenn der Herr nicht selber nachsieht und sich auf Ratgeber und
Knechte verlässt, dann geht es niemals recht. Das will auch Gott so haben und
er lässt es geschehen, damit die Herren gezwungen werden, notgedrungen ihr Amt
selber zu versorgen, wie auch sonst jeder seinem Beruf und alle Kreatur ihrem
Werk nachkommen muss. Sonst werden aus den Herren Mastsäue und unnütze Leute,
die niemand etwas nützen als sich selber.
Drittens soll ein
Fürst darauf Acht geben, wie er mit den Übeltätern recht verfährt. Hier muss er
sehr klug und weise sein, um zu strafen, ohne die andern ins Verderben zu
stürzen. Und wieder weiss ich hier kein besseres Beispiel als David. Der hatte
einen Hauptmann namens Joab. Der verübte zwei böse Schandtaten und erwürgte
hinterlistig zwei rechtschaffene Hauptleute, womit er zweimal den Tod redlich
verdient hätte. Dennoch tötete ihn David nicht, solange er selber am Leben war,
sondern übertrug es seinem Sohne Salomo, ohne Zweifel deshalb, weil er es nicht
ohne größeren Schaden und ohne Aufsehen tun konnte. Ebenso muss auch ein Fürst
die Bösen strafen; sonst hebt er einen Löffel auf und zertritt dabei eine
Schüssel: er bringt um eines Kopfes willen Land und Leute in Not und macht das
Land voll Witwen und Waisen. Darum darf er nicht den Ratgebern und
Eisenfressern folgen, die ihn aufhetzen und reizen, Krieg anzufangen, indem sie
sagen: „Ei, sollten wir ein solches Wort und solches Unrecht dulden?“ Es ist ein
ganz schlechter Christ, der um eines Schlosses willen das ganze Land aufs Spiel
setzt. Kurz, hier muss man sich an das Sprichwort halten: „Wer nicht durch die
Finger sehen kann, der kann nicht regieren.“ Darum sei das die Regel eines
Fürsten: Wenn er ein Unrecht nicht strafen kann, ohne ein größeres Unrecht zu
verursachen, so lasse er sein Recht fahren, auch wenn es so begründet sein mag,
wie es will. Denn auf seinen Schaden soll er nicht achten, sondern auf das
Unrecht, das die andern leiden müssen, wenn er die Strafe vollzöge. Denn was
haben so viel Weiber und Kinder verschuldet, dass sie Witwen und Waisen werden
sollen, nur damit du dich rächen kannst an einem unnützen Maul oder an einer
bösen Hand, die dir eine Beleidigung zugefügt hat?
Nun wendest du ein:
„Soll denn ein Fürst nicht Krieg führen oder sollen seine Untertanen ihm nicht
in den Streit folgen?“ Antwort: Das ist eine weitläufige Frage. Aber um es ganz
kurz zu sagen: wenn man hierin christlich verfahren will, dann soll, sage ich,
kein Fürst Krieg führen gegen seinen Oberherrn, also den König und Kaiser oder
wer sonst sein Lehnsherr ist; sondern er soll nehmen lassen, wer nimmt. Denn
der Obrigkeit soll man nicht mit Gewalt widerstehen, sondern nur mit dem
Bekenntnis der Wahrheit. Kehrt sie sich daran, so ist es gut; andernfalls bist
du nicht schuldig und leidest Unrecht um Gottes willen.
Ist aber der
Gegner deinesgleichen oder geringer als du oder einer fremden Obrigkeit
untertan, so sollst du ihm zuerst Recht und Frieden anbieten, wie Mose die Kinder
Israel es lehrte. Will er dann nicht, so sei auf dein Bestes bedacht und wehre
dich mit Gewalt gegen Gewalt, wie Mose das alles fein beschreibt. Und dabei
musst du nicht auf das sehen, was dein ist, und darauf, wie du Herr bleibst,
sondern auf deine Untertanen, denen du Schutz und Hilfe schuldig bist, damit
dieses Werk in der Liebe gehe. Denn solange dein ganzes Land in Gefahr ist,
musst du es wagen, ob dir vielleicht Gott helfen will, dass es nicht alles
verderbt werde; und wenn du nicht verhindern kannst, dass einige darüber zu
Witwen und Waisen werden, so musst du doch verhindern, dass nicht alles
zugrunde gehe und lauter Witwen und Waisen werden.
Und hierbei sind
die Untertanen verpflichtet, Folge zu leisten und Leib und Gut dran zu setzen;
denn in solchem Falle muss einer um des andern willen sein Gut und sich selbst
dran wagen. Und in einem solchen Krieg ist es christlich und ein Werk der
Liebe, unter den Feinden unverzagt zu würgen, zu rauben und zu brennen und
alles zu tun, was Schaden bringt, bis man sie überwindet, - wie es eben im
Krieg zugeht; nur soll man sich vor Sünden hüten, Weiber und Jungfrauen nicht
schänden. Und wenn man sie überwunden hat, so soll man denen, die sich ergeben
und demütigen, Gnade und Frieden erzeigen. In einem solchen Fall soll man also
den Spruch gelten lassen: Gott hilft dem Stärksten. So machte es Abraham, als
er die vier Könige schlug; dabei hat er sicherlich viele erwürgt und nicht viel
Gnade erzeigt, bis er sie überwand. Denn einen solchen Fall muss man ansehen als
von Gott zugeschickt; damit will er einmal das Land fegen und Bösewichter
hinaustreiben.
Wie? Ist dann,
wenn ein Fürst unrecht hätte, sein Volk auch verpflichtet, ihm zu folgen?
Antwort: Nein. Denn es gebührt sieh für niemand, etwas gegen das Recht zu tun,
sondern man muss Gott, der das Recht haben will, mehr gehorchen als den
Menschen. Was aber, wenn die Untertanen nicht wüssten, ob der Fürst recht hat
oder nicht? Antwort: Solange sie es nicht wissen und erfahren können, auch
nicht durch möglichste Anwendung allen Fleißes, so mögen sie Folge leisten ohne
Gefahr für ihre Seelen. Denn in einem solchen Fall muss man das Gesetz Moses
anwenden, wo er schreibt, ein Mörder, der unwissentlich und ohne Vorsatz jemand
tötet, solle losgesprochen werden, wenn er in eine Freistadt flieht, und zwar
durchs Gericht. Denn der Teil, der hierbei geschlagen wird, mag er recht oder
unrecht haben, muss das als eine Strafe von Gott aufnehmen. Der Teil aber, der
in derselben Unwissenheit schlägt und es gewinnt, der muss das, dass er
schlägt, ansehen, wie wenn jemand vom Dache fiele und dabei einen andern
totschlüge, und muss Gott die Sache anheim stellen. Denn es gilt bei Gott
gleichviel, ob er dich durch einen rechten oder durch einen unrechten Herrn um
dein Gut und deinen Leib bringt. Du bist sein Geschöpf, und er kann es mit dir
machen, wie er will, wenn nur dein Gewissen unschuldig ist. So entschuldigt
auch Gott selber den König Abimelech, als er Abraham sein Weib nahm; nicht als
ob er recht daran getan hätte, sondern weil er nicht gewusst hatte, dass es
Abrahams Weib war.
Viertens - es
soll das eigentlich das Erste sein; wir haben davon auch schon oben geredet -
soll sich ein Fürst auch seinem Gott gegenüber christlich verhalten, d. h. er
soll sich ihm mit ganzem Vertrauen unterwerfen und ihn um Weisheit bitten, um
recht zu regieren, wie Salomo es tat (1 Kön 3,9). Aber vom Glauben und vom
Vertrauen auf Gott habe ich sonst schon so viel geschrieben,49 dass es hier
nicht nötig ist, weiter darauf einzugehen. Darum wollen wir's hierbei bewenden
lassen.
Wir wollen mit
der zusammenfassenden Bemerkung schließen, dass ein Fürst seine Aufmerksamkeit
nach vier Seiten hin verteilen soll: Erstens zu Gott hin mit rechtem Vertrauen
und herzlichem Gebet. Zweitens zu seinen Untertanen hin mit Liebe und
christlichem Dienst. Drittens zu seinen Ratgebern und Bevollmächtigten hin mit
freier Vernunft und unvoreingenommenem Verstand. Viertens zu den Übeltätern hin
mit maßhaltendem Ernst und mit Strenge. So betätigt er seinen Stand nach außen
und nach innen hin recht, so dass er Gott und den Leuten gefallen wird. Aber er
muss sich dabei auf viel Neid und Leid gefasst machen. Das Kreuz wird einem
solchen Vorhaben gar bald auf dem Halse liegen.
Zuletzt muss ich
anhangsweise hier auch noch denen Bescheid sagen, die über die Restitution
disputieren,50 d.h. über die Wiedererstattung unrechten Gutes. Denn das ist
eine allgemeine Aufgabe für die weltliche Schwertgewalt; es wird viel darüber
geschrieben und manche übertriebene Strenge dabei gesucht. Aber ich will es
alles ganz kurz fassen und alle derartigen Gesetze und strengen Vorschriften,
die diesbezüglich schon gemacht worden sind, auf einmal wegschaffen,
folgendermaßen: Kein gewisseres Gesetz kann man in dieser Sache finden als das
Gesetz der Liebe. Fürs erste: wenn ein solcher Rechtshandel vor dich kommt, wo
einer dem andern etwas wiedererstatten soll, so ist, falls sie beide Christen
sind, die Sache bald entschieden. Denn keiner wird dem andern das Seine
vorenthalten, und ebenso wird es auch keiner zurückfordern. Ist aber nur einer
ein Christ, und zwar der, dem die Wiedererstattung geleistet werden soll, so
ist es wiederum leicht zu entscheiden; denn er fragt nicht darnach, wenn es ihm
nicht wieder zuteil wird. Desgleichen wenn der ein Christ ist, der wiedererstatten
soll, so wird er es auch tun. Mag es sich aber um einen Christen oder um einen
Nichtchristen handeln, so sollst du über Wiedererstattungen so urteilen: Ist
der Schuldner arm und kann es nicht wiedererstatten, während der andere nicht
arm ist, so sollst du hier der Liebe Recht frei walten lassen und den Schuldner
lossprechen. Denn der andere ist ja auch nach dem Recht der Liebe dazu
verpflichtet, ihm das zu erlassen und noch etwas dazu zu geben, falls es nötig
ist. Ist aber der Schuldner nicht arm, so lass es ihn wiedererstatten, so viel
er kann, sei es das Ganze, die Hälfte, ein Drittel oder ein Viertel; jedoch
sollst du ihm genug an Wohnung, Nahrung und Kleidung für ihn selbst und für
sein Weib und Kind belassen. Denn das wärest du ihm schuldig [zu geben], wenn
du es könntest; wie viel weniger sollst du es ihm nun nehmen, wo du es doch
nicht brauchst und er es nicht entbehren kann!
Sind sie aber auf
beiden Seiten keine Christen, oder will der eine nicht nach dem Recht der Liebe
richten lassen, so kannst du sie einen andern Richter suchen lassen und dem
Betreffenden sagen, dass sie wider Gott und das natürliche Recht handeln, auch
wenn sie beim menschlichen Recht die strenge Gesetzesschärfe durchsetzen. Denn
die Natur lehrt, wie es auch die Liebe tut: dass ich tun solle, was ich mir
selber getan wissen wollte (Mt 7,12). Darum kann ich niemand derartig
ausplündern, so gutes Recht ich auch auf meiner Seite haben mag, da ich doch
selber nicht gerne so ausgeplündert sein wollte; vielmehr wie ich wollte, dass
ein anderer in solchem Fall sein Recht mir gegenüber fahren ließe, so soll ich
auch auf mein Recht verzichten.
So soll man bei
allem unrechten Gut verfahren, gleichviel, ob es heimlich oder öffentlich ist:
immer soll die Liebe und das natürliche Recht den Vorrang haben. Denn wenn du
der Liebe nach urteilst, wirst du alle Sachen gar leicht entscheiden und
schlichten ohne alle Rechtsbücher. Wenn du aber von dem Recht der Liebe und der
Natur absiehst, wirst du es niemals so treffen, dass es Gott gefällt, wenn du
auch alle Rechtsbücher und Juristen verschlungen hättest; diese werden dich
vielmehr nur noch mehr irre machen, je mehr du ihnen nachdenkst. Ein rechtes,
gutes Urteil - das muss und kann nicht aus Büchern gesprochen werden, sondern
aus freier Besinnung heraus, als gäbe es kein Buch. Solch freie Urteile aber
lehrt die Liebe und das natürliche Recht, von welchem alle Vernunft voll ist;
aus den Büchern kommen nur rücksichtslose und unsichere Urteile.
Dafür will ich
dir ein Beispiel sagen. Man erzählt von Herzog Karl von Burgund eine solche
Geschichte. Ein Edelmann nahm seinen Feind gefangen. Da kam die Frau des
Gefangenen, um ihren Mann loszubekommen. Aber der Edelmann versprach ihr, den
Mann herauszugeben, sofern sie bei ihm schlafen wollte. Das Weib war
rechtschaffen, hätte jedoch ihren Mann gern losbekommen; so geht sie hin und
fragt ihren Mann, ob sie es tun solle, um ihn loszubekommen. Der Mann wäre gern
los gewesen und wollte sein Leben behalten und erlaubte es der Frau. Als nun
der Edelmann die Frau beschlafen hatte, ließ er am nächsten Tag ihrem Mann den
Kopf abschlagen und gab ihn der Frau tot. Das klagte sie alles dem Herzog Karl.
Der lud den Edelmann vor und befahl ihm, die Frau zur Ehe zu nehmen. Als nun
der Brauttag aus war, ließ er dem Mann den Kopf abschlagen und setzte die Frau
in sein Gut ein und brachte sie wieder zu Ehren. So strafte er die
Schlechtigkeit auf recht fürstliche Weise.
Sieh, ein solches
Urteil hätte ihm kein Papst, kein Jurist und kein Buch geben können; es ist vielmehr
aus freier Vernunft entsprungen, dem Recht aller Bücher überlegen, in so feiner
Weise, dass jedermann es billigen muss und bei sich selbst im Herzen
geschrieben findet, dass es so recht sei. Etwas Ähnliches schreibt auch S.
Augustin in seinem Sermon über die Bergpredigt.
Darum sollte man
geschriebene Rechte unter der Herrschaft der Vernunft behalten, da sie doch aus
ihr als aus der Rechtsquelle geflossen sind; man sollte nicht die Quelle an
ihre Bächlein binden und die Vernunft mit Buchstaben gefangen führen.